Bundesländer wollen die Senkung der Dispozinsen - sinnvoll?

  • Das Thema ist nicht neu: Seit 2012 drängen die Bundesländer auf die Senkung der Dispozinsen. Denn: Wer auf den Dispokredit zurückgreifen muss, zahlt horrend hohe Zinsen und hat es dadurch erst recht schwer, wieder ins Plus zu kommen. Die Bundesregierung hat dazu zunächst keine Änderungspläne.


    Ich habe selbst ein paar Situationen erlebt, in denen Menschen unverschuldet ins Minus kamen. Meist sind das dann die, die es eh schon schwer haben, z. B. weil die Kinder in die Schule kommen oder der Job weg ist. In solchen Situationen wäre die Senkung auf ein gewisses Maximum, auch wenn man bedenkt, dass der Leitzins derzeit ein Niedrigniveau erreicht hat, ein Segen. Andererseits wird argumentiert, dass man mit so einer Senkung dem Missbrauch Tür und Tor öffnet. Wer also vorher schon chronisch überzogen hat, wird das erst recht tun.


    Die scheinbare Universallösung: Umschuldung auf eine günstigeren Ratenkredit. Aber nicht alle können den in Anspruch nehmen. Was meinen Sie: Ist die Senkung der Dispozinsen eine Möglichkeit, die hohe Überschuldung in Deutschland etwas zu verbessern? Oder ist der Dispogedanke so tief in der Gesellschaft verankert, dass man an einer anderen Stelle ansetzen müsste, z. B. bei der Finanzerziehung?


    Und v. a.: Sollte sich die Bundesrergierung kooperativer zeigen und die Senkung zugunsten der Verbraucher durchsetzen?

  • Liebe Franziska,


    vielen Dank für diese ausführliche Einleitung. Das ist nichts anderes als die alte Gesellschaftsdebatte - Schuldnern den Weg zurück ins geregelte Leben ermöglichen und dabei die chronischen Scheiterer mitnehmen oder eben streng alle über den Kamm scheren und sich selber überlassen.


    Deutschland als Sozialstaat kann sich Letzteres eigentlich nicht erlauben. Aber die Herrschaften da oben wissen auch, dass es keine Heilsformel für den Abbau von Armut gibt, auch nicht über solche Wege. Denn einerseits müssen die Banken nach der Krise wieder gestärkt werden, andererseits ist in unserer Gesellschaft das Schulden machen zu einer Epidemie geworden. Wissen Sie, wie viele ich jeden Tag sehe, die von der Gnade und Barmherzigkeit anderer leben? Es ist ein Schande! Da wird bestellt, bis der Katalog leer ist, und dann sitzt man auf dem Schuldenberg, braucht einen Berater und Hartz IV bezieht man meist sowieso auch noch. Da kommt so ein Disporahmen doch mehr als gelegen.


    Und damit wird genau wieder nicht erreicht, was Ziel des Bankenaufbaus sein soll: Dass die Geldinstitute ihren Umsatz mit wirtschaftsfördernden Initiativen wie Gründerkrediten machen und damit Arbeitsplätz schaffen, sondern mit der Verschlechterung der finanziellen Situation der weniger Glücklichen und Geschickten. Da hilft aber keine Senkung des Dispozinses oder die Beschränkung auf einen bestimmten Überziehungsbetrag - da muss sich eine ganze Gesellschaft verändern.


    Kinder müssen von klein auf lernen, dass man Schulden nur im Ausnahmefall macht, z. B. beim Hausbau. Ein Ratenkredit bei MediaMarkt, um das neueste Smartphone zu bekommen, ist der erste Schritt in Richtung falsches Verhalten zu Geld. Sie haben Recht, Franziska, wir brauchen eine neue Art der Finanzerziehung in den Schulen. Denn die meisten Eltern sind heutzutage doch gar nicht mehr fähig, ihrem Nachwuchs den richtigen Umgang mit Geld beizubringen.


    Die Bundesregierung sollte sich an goldenen Mittelweg halten: Eine vernünftige Beschränkung ist sinnvoll, muss aber nicht sein. Wichtig ist halt, dass bei chronischen Schuldnern der Riegel schnell vorgeschoben wird und sie keine Kredite mehr bekommen.


    Freundliche Grüße


    H. R.

  • Und Sie glauben, das würde etwas ändern? Temporär hätten Sie dadurch sicherlich eine Erleichterung, aber langfristig kann nur eine gezielte Entschuldung etwas bringen. D. h. wir brauchen sichere Arbeitsplätze, Beratungsformate und die richtige Bildung von Anfang an.


    Ich glaube nämlich nicht, dass im Gegenzug die Erhöhung der Dispozinsen etwas bringen würde. Die Menschen würden wahrscheinlich trotzdem Kredite aufnehmen, und besonders beim Dispo. Das ist nämlich so schön bequem ohne Antrag!

  • Ich schmeiße, weil das in unserer Gesellschaft so ist! Und würden Sie meinen Beitrag durchlesen, sähen Sie, dass ich es durchaus relativiert habe. Also verallgemeinern Sie jetzt bitte nicht.

  • Hallo opanak,


    ein valider Punkt! Die Frage ist allerdings auch, ob nicht die Diskussion zu diesem Thema - und der damit verbundene Einfluss - die Entscheidung der Politik massiv beeinflusst. Man denke z. B. an Lobbyismus seitens der Banken, die durch möglichst hohe Dispozinsen ihre Einnahmen sichern möchten.


    Darüber hinaus stellt sich weiterhin die Frage nach Alternativen zum Dispo. Z. B. ergeben sich durch die bald in Kraft tretende Reform des Insolvenzverfahrens Änderungen - ein weiterer Faktor, der zu bedenken ist.

  • Jetzt nach dem Senkung des Leitzins haben eineige Banken den Dispo gesenkt. Aber das waren nur Minimalpunkte! 0,1 bis 0,25 Prozent im Durchschnitt. Ok der Leitinis wurde auch nur um 0,15 gesenkt, aber fair ist das rotzdem nicht.


    Ich habe mal gelesen dass die Banken mit dem Dispo nicht zu knapp verdienen. Schmarotzer und Ausnützer schön und gut, aber den Leitzins könnten sie trotzdem weiter senken. Es ist ja nicht so, dass den Banken momentan daran gelegen wäre viel Geld der Sparer zu erhalten auf das sie Zins zahlen müpssen. Im Gegenteil!


    Also: Dispo runter!

    • Offizieller Beitrag

    Aber auch schon mal nachgelesen wie hoch die möglichen Ausfall-Kosten der Banken sind?


    Ich persönlich denke, das eine regulatorische Einmischung der Politik in diesem Bereich nicht zielführend sein kann und wird, denn die bisherigen Einschränkungen haben auch nur begrenzten Einfluss gezeigt.


    Denn jeder kann sich ja einen Anbieter suchen, der günstigere Dispozinsen anbietet, ggfs. individuell mit der Bank verhandeln oder eine entsprechende Umschuldung anstreben.


    Das Optimum ist natürlich eine ausgeglichene Haushaltsrechnung.

    "Man kann die raffiniertesten Computer der Welt benutzen und Diagramme und Zahlen parat haben, aber am Ende muss man alle Informationen auf einen Nenner bringen, muss einen Zeitplan machen und muss handeln."

    Lee Iacocca, amerik. Topmanager

  • Ein valider Punkt, Henning. Aber genau das ist der Punkt, der mich am meisten beschäftigt. Würde jemand, der nicht weiß, dass ein Ratenkredit ihn günstiger kommt, auch aktiv die Initiative ergreifen und auf die Bank zugehen? Das liegt hauptsächlich an zwei Faktoren, die ich in meinem Bekanntenkreis immer wieder erlebt habe:

    • Irreführende Bequemlichkeit: Weil man keinen Vertrag unterzeichnen muss und "ganz leicht" wieder ins Plus kommen kann, wird eher zum Dispo tendiert.
    • Fehlendes Bewusstsein: Auch wenn es offensichtlich ist, dass ein Ratenkredit günstigere Konditionen anbietet, so ist es vielen dennoch nicht bewusst. Gerade bei Menschen, die wenig Finanzbildung erfahren durften (und das ist der Großteil der deutschen Bevölkerung!), fehlt diese Aufmerksamkeit.

    Wie gesagt, ich habe das häufig beobachtet. Initiativen der Regierung und von Verbraucherverbänden drängen auf ein verpflichtendes Schulfach "Verbraucher- und Finanzbildung". Auch wenn das nicht alle Probleme löst: Es wäre zumindest ein Anfang, mit der Chance, viele schon im Kindes- und Jugendalter für diese Themen zu sensibilisieren.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Franziska,


    ein Schulfach "Finanzbildung" würde vieles verbessern und das Verständnis für die finanziellen Gegebenheiten fördern.
    Erschreckend finde ich das es in Berlin im Gespräch war, ein Schulfach "Hartz IV" einzuführen, das wäre aus meiner Sicht der komplett falsche Weg.


    Zu Deinen beiden Faktoren kann ich aus früherer beruflicher Erfahrung nur sagen,
    das es vielleicht 2 von 10 Personen schaffen einen ausgelasteten Dispositionskredit langfristig zurückzuführen und auf Dauer nicht mehr zu nutzen.


    Viele vergessen die ein oder andere kommende Abbuchung und was besonders fatal ist ....

    den Zinseszinseffekt.


    Denn der Dispositionskredit wird ja vierteljährlich mit den Kontogebühren abgerechnet, sprich die Zinsen erhöhen sich somit von Quartal zu Quartal.


    In der Regel sind die Bankmitarbeiter auch an diesen Lösungen interessiert und gehen direkt auf die Kunden zu,
    da überzogene Girokonten auf Dauer die Bonität des Kunden reduzieren und zum anderen sich hierdurch der ein oder andere Bedarfsansatz ansprechen lässt.

  • Vor kurzem wurde bekannt, dass erste Großbanken in Deutschland Warnhinweise auf die Kontoauszüge drucken werden. Nutzt ein Kunde (häufig) den Dispozins, so wird er auf den Auszügen auf die Möglichkeit der Aufnahme eines Ratenkredites hingewiesen.


    Bei Schuldnern, die wiederholt und/oder in großem Maße von der Einräumung des Dispos Gebrauch machen, soll sogar auf die Schuldnerberatung verwiesen werden.


    Sicherlich ein erster Schritt, der damit begründet wird, dass "jeder die Kontoauszüge lese" (Quelle: RP Online). Aber ist das genug? Oder vielleicht sogar ein zu großer Eingriff in die Bankgeschäfte? Was denken Sie?

    • Offizieller Beitrag

    Hier mal ein interessanter Kommentar aus der Welt zu diesem Thema:


    http://m.welt.de/finanzen/arti…hr-faulen-Bankkunden.html


    Ich halte ebenfalls eine weitere regulatorische Einmischung für sinnlos.

    "Man kann die raffiniertesten Computer der Welt benutzen und Diagramme und Zahlen parat haben, aber am Ende muss man alle Informationen auf einen Nenner bringen, muss einen Zeitplan machen und muss handeln."

    Lee Iacocca, amerik. Topmanager