Kann das Finanzamt rückwirkend Steuererklärungen einfordern

  • Hallo zusammen,


    Nach Studium und Arbeit in Großbritannien bin ich seit Juli 2020 Arbeitnehmer in Deutschland. Nun wollte ich ganz gerne *freiwillig* meine erste deutsche Steuererklärung für das Jahr 2021 machen.


    Frage: kann es passieren, dass das Finanzamt dann auch Steuererklärungen für vorangegangene Jahre will?


    Das würde ich gerne vermeiden wollen, weil ich mir die Steuererklärung für die vorangegangenen Jahre (v.a. 2020) als relativ anstrengend vorstelle, weil ich eben in zwei verschiedenen Ländern, dort verschiedene Jobs und auch Kapitalerträge hatte, etc.


    Herzlichen Dank!

  • 2016 bis Ende Juni 2020 in Großbritannien steuerpflichtig (dort Einkommen erhalten, promoviert inklusive Stipendium und gelebt). Ab 1. Juli 2020 dann ausschließlich in Deutschland gelebt und gearbeitet.

    Es gehört aber der Vollständigkeit halber noch gesagt, dass ich mich die ganze Zeit in Großbritannien nicht in Deutschland (bei meinen Eltern) abgemeldet hatte (ich war also auch noch in Deutschland gemeldet). Ich hatte hier auch Konten (Festgeld, Tagesgeld, irgendwann auch ETFs, mit Freibeträgen). Aber sonst kein Einkommen, und auch keine KV, etc. (habe hier ja nicht gelebt).

  • ... ei dann würde ich mal checken, was an Einkünften in 20 und 21 so gelaufen ist...und erst einmal 21 einreichen. 2020 könntest du, glaube ich, später noch nachreichen, falls mit einer Erstattung zu rechnen wäre. Mit einem der gewöhnlichen Steuerprogramme kannst du das schnell herausfinden.

  • JDS: Danke für die Rückmeldung. Verstehe ich richtig: Es ist nicht damit zu rechnen, dass wenn ich 2021 einreiche, das Finanzamt von mir fordert, dass ich 2020 (und früher) auch noch einreichen muss?


    Quartiermeister: Ich habe wurde für meine Arbeit in England entlohnt und werde auch für meine Arbeit in Deutschland entlohnt. Oder verstehe ich die Nachfrage falsch?

  • Es ist nicht damit zu rechnen, dass wenn ich 2021 einreiche, das Finanzamt von mir fordert, dass ich 2020 (und früher) auch noch einreichen muss?

    Hey, ich bin kein Steuerberater und arbeite auch nicht beim/fürs Finanzamt. Frage doch einfach bei deinem zuständigen FA nach, wie du am besten für 2020 vorgehst.

  • Ich habe wurde für meine Arbeit in England entlohnt und werde auch für meine Arbeit in Deutschland entlohnt. Oder verstehe ich die Nachfrage falsch?

    In dem Fall, dass Du in England mehr als 410 Euro Einnahmen hattest, bist Du sogar zur Abgabe einer Steuererklärung für 2020 verpflichtet (§46 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Die Frist dazu war der 31.10.21 (mit Steuerberater ist es Mai 2022).


    Ob Du tatsächlich zusätzlich Steuern zahlen musst, hängt von den Höhen der Einnahmen ab.


    Das Argument „ist kompliziert“ zählt jedenfalls nicht, um der Veranlagung zu entgehen.


    So kompliziert ist es aber nicht. Anlage WA-ESt hinzufügen und dort den englischen Brutto-Lohn (minus NI und Werbungskosten, aber nicht (!) minus Steuern) eintragen, die Berücksichtigung geht dann per Progressionsvorbehalt.


    Und wo Du gemeldet warst, ist steuerlich idR unerheblich.

  • Ui! Gut zu wissen, vielen Dank für die Auskunft, Galileo!


    Ja, ich habe deutlich mehr als 410 Euro bekommen, nämlich rund 10.000 GBP/Brutto.


    Ein paar Rückfragen (die wahrscheinlich dumm klingen, aber das ist noch komplett Neuland für mich):

    1. (Eher aus Interesse) Diese 410€-Regel gilt trotz Doppelbesteuerungsabkommen? Ich hatte das Gegenteil gehofft - wohl fälschlich.

    2. Meine Frist mit Steuerberater ist also der Mai 2022. Würden über "Zaster" vermittelte Steuerberater da auch gelten?

    3. Muss ich bei den 10.000GBP/Brutto vermutlich nachzahlen?

    4. Bzgl. WA-ESt würde mich ja vermutlich dann auch der Steuerberater beraten/anleiten?


    Herzlichen Dank!

  • 1. Ja. Ein Doppelbesteuerungsabkommen bedeutet ja nicht, dass alles automatisch läuft, sondern regelt wer und wie besteuert. Doppelt besteuert wirst Du nicht. Schau Dir an, was Progressionsvorbehalt bedeutet.

    2. Die Frage verstehe ich nicht. Du kannst auch alleine nach der Frist einreichen. Eine Strafe gibt es vor allem bei Nachzahlung, das ist unwahrscheinlich.

    3. Wie geschrieben: Das hängt von den Höhen (Plural) ab. Du kannst ja ggfs auch die Umzugskosten als Werbungskosten ansetzen. Eine Erstattung ist wahrscheinlich.

    4. Entweder Du liest Dich etwas ein (mehr Anleitung als oben geschrieben brauchst Du eigentlich nicht, es ist diese eine Zahl, die einzutragen ist) oder Du beauftragst einen Steuerberater. Ist vielleicht bei Deinem Kenntnisstand nicht verkehrt. Löchere ihn/sie mit Fragen, dann kannst Du die nachfolgenden Erklärungen alleine machen.

    Weitere Fragen wegen des Verbots der Steuerberatung kann ich hier nicht beantworten.

  • Hallo zusammen,


    ich habe eben noch mal kurz mit dem Finanzamt geredet und versucht, auf Basis unserer Unterhaltung, meine Situation so korrekt wie möglich (s.o.) zu schildern.


    Meine Frage, ob ich eine Verpflichtender Veranlagung habe, wurde verneint. Dies (die 410€-Regel) gälte nur für "Honorarverträge" und Arbeit in der "Selbständigkeit". Ich wurde neben der Steuerklasse (I) noch gefragt, ob ich in 2020 nach meiner Ankunft Arbeitslosengeld 1 oder Elterngeld erhalten hätte; oder Erträge aus Rente oder Mieten erhalten hätte - beides habe ich verneint. Daraufhin wurde mir noch mal bestätigt, dass das Einreichen für eine Steuererklärung 2020 freiwillig wäre.


    Da ich, wie beschrieben, sehr wenig Ahnung von dem Thema habe, wollte ich nur noch mal hier nachfragen, ob das denn so Sinn macht, oder ob ich bzw. die Fachkraft vom Finanzamt was nicht ganz richtig überblickt habe/hat.


    Herzlichen Dank noch mal!

  • Hört sich alles sehr plausibel an!


    Wenn du deine paar Zahlen in ein Steuerprogramm eingibst (smartsteuer, wiso steuer...) und dir angezeigt wird, dass du mit einer Erstattung für 2020 rechnen kannst, dann solltest du auch 2020 einreichen...


  • Ich würde dann "Fachkraft" vom Finanzamt mal in Anführungszeichen setzen. Da ich selbst einen unterjährigen Wechsel aus dem UK nach Deutschland hinter mir habe, maße ich mir an, zu sagen, dass die Person, mit der Du gesprochen hast, schlicht falsch informiert ist.


    Nochmal: Verpflichtung zur Veranlagung (= Einreichung einer Steuererklärung) besteht nach §46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, wenn mehr als 410 Euro dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Ausländische Einkünfte, die nicht in Deutschland versteuert wurden, unterliegen dem Progressionsvorbehalt . Dies folgt aus dem Doppelbesteuerungsabkommen D+UK, Artikel 23 Nr. (1) Abs d. "Deutschland behält aber das Recht, die nach den Bestimmungen dieses Abkommens von der deutschen Steuer ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte bei der Festsetzung seines Steuersatzes zu berücksichtigen." Und das passiert auch, wenn man die o.g. Zahl in WA-ESt eingibt, denn Deutschland nutzt dieses Recht gemäß §32 b Abs. 1, Nr. 2 und 3 EStG.


    Ergo: Pflicht zur Einreichung einer Steuererklärung.


    Ich gehe davon aus, dass die 10 000 GBP aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (mit Income Tax und National Insurance Deducations) kommen, und nicht etwa ein Promotionsstipendium waren.


    Ich hatte (gerade was die Behandlung der Kapitalerträge angeht) selbst mehrfach falsche Auskünfte vom Finanzamt erhalten. Diese Fälle kommen schlicht nicht so häufig vor, und wenn der jeweilige Bearbeiter das dann nicht schon mal hatte und dann nicht zu einem spezialisierten Kollegen durchstellt, dann kommt leicht eine falsche Information raus.


    Sei's drum, es ist wahrscheinlich, dass sich eine Erklärung ohnehin lohnt, insofern ist es letztlich egal - ich wollt die offensichtlich falsche Auskunft des Finanzamts hier nur nicht unkommentiert stehen lassen für ggfs andere, die den Thread später finden.

  • Reiche mal 2021 ein, ohne 2020 zu erwähnen. Wenn das Finanzamt einen Grund sieht, wird es sich schon melden.

    Bei mir war es so, dass ich 2018 in die Steuerpflicht gerutscht bin. Aufgrund der komlizierten Gesetzgebung konnte ich das nicht sicher erkennen. Finanzamt hat mich2021 aufgefordert für 2018 und 2019 eine Erklärung abzugeben. Dem bin ich nachgekommen. Für 2020 habe ich dann von mir aus abgegeben.

    Gruß


    Altsachse

  • Herzlichen Dank für die schnelle Rückmeldungen!


    Vor allem noch mal vielen Dank an Dich, Galileo, für die detaillierten Erläuterungen! Ich Konnte mir in der Tat gut vorstellen, dass mein Fall eventuell zu spezifisch für den/die durchschnittlichen Mitarbeiter/in am Finanzamttelefon ist, deswegen hier noch mal meine Rückmeldung/frage


    Wie JDS ja auch empfohlen hat, kann man ja sowieso das ganze einfach mal in WISO oder Smartsteuer durchrechnen. Das werde ich so oder so mal machen.


    Vielleicht noch eine kurze Nachfrage, Galileo. Du hattest geschrieben:

    Ich hatte (gerade was die Behandlung der Kapitalerträge angeht) selbst mehrfach falsche Auskünfte vom Finanzamt erhalten.

    Ich selbst hatte in UK ein Festgeld und Tagesgeldkonto bei meiner Hausbank laufen (ETFs hatte ich nur in Deutschland). Muss ich da irgendwas groß beachten in meinem Unterfangen für eine Steuererklärung für 2020? Genauer: Muss ich die Zinsen hier angeben/belegen?


    Noch mal ganz herzlichen Dank!