Guten Tag allerseits,
erst einmal großes Lob an die Macher von Finanztip und an dieses tolle Forum und die Community.
Diese Webseite ist oft meine erste Anlaufstelle, wenn es um die immer komplexer werden Themen zu Finanzfragen geht.
Und ich übertreibe daher nicht, wenn ich sage: Für mich ist der Gründer Herr Tenhagen (mit seiner Entscheidung sich von Stiftung Warentest loszulösen) und ein eigenes transparentes Online-Portal zu gründen fast genauso ein Held (und sollte vermutlich auch genauso gut bezahlt werden) wie zum Beispiel Justin Bieber.
Das nur am Rande... aber das musste mal gesagt werden
Nun zu meiner Frage an die Community die das Thema Berufsunfähigkeitsversicherungen betrifft:
Was ist zu den Gruppenvertrag "Collect plus" von Biometric underwriting ohne Gesundheitsfragen für Ärzte zu halten?
Voraussetzung ist neben dem das man Arzt ist, das man dem Verein "rationelle-arztpraxis e.V." beitreten muss für einen Jahresbeitrag von ca. 60€. Der Mitgliedsbeitritt geht dabei fast genauso flink, wie sich in hier im Forum zu registrieren.
Die Angebot klingen ja so ein bisschen nach der eierlegenden Wollmilchsau unter den Berufsunfähigkeitsversicherungen.
Hohe Absicherungsmöglichkeit und gute Konditionen und trotzdem im Durchschnitt günstigere Prämien?
Klingt alles irgendwie zu schön um war zu sein, vor allem für jemand bei dem aufgrund Erkrankungen eine Berufsunfähigkeitsversicherungen ansonsten verwehrt bliebe.
Übrigens gibt es diese Gruppentarife nicht auch für viele Arbeitskräfte aus anderen Brachen.... also auch wer nicht Arzt ist, bitte weiterlesen (für wen noch? siehe weiter unten!).
Ein ähnliches Produkt wurde in diesem Forum bereits hier schon mal diskutiert.
Und noch ausführlich befasste sich damit auch der Versicherungsmakler Philip Wenzel hier.
Damit man nicht nochmal alles nachlesen muss:
- Es handelt sich offenbar nicht um eine Lebensversicherung sonder eine Sachversicherung bzw.
eine Schadensversicherung und nicht wie eine BU eine Summenversicherung,
d.h. bei Bezug einer Rente werden andere Einkünfte angerechnet. - Versicherung hat demnach wohl auch die Möglichkeit zur Kündigung und Preisänderung
- Vertragslaufzeit immer 5 Jahre mit Verlängerung zu dem dann höheren (=teureren) Eintrittsalter.
- Versicherer ist Lloyd's of London - also außerhalb des deutschen VAG.
Schön zusammengefasst finde ich das ganze mit den zwei Zitaten:
Zaubern kann niemand. Es gibt immer ein Risiko, das versichert wird, dessen durchschnittliche Eintrittswahrscheinlichkeit, die Kosten des Produkts, des Vertriebs, den Gewinn der Gesellschaft etc. Wenn keine Risikoselektion über eine Gesundheitsprüfung erfolgt, dann muss so ein Produkt zwangsläufig mehr kosten oder weniger leisten.
Für einen gesunden Menschen ist dieses Produkt wohl eher ungeeignet.
Und weitere Details dazu ? ....
Tja, da kenn ich mich nun zu wenig aus weshalb ich mich an das Schwarmwissen hier im Forum wende
Inzwischen wurden diese international verwendeten Versicherungsbedingungen und Verträge wohl mehrfach angepasst, sodass sie auch besser zur deutschen Rechtsprechung passen:
Die mir aktuell vorliegenden Bedingungen habe ich mal angefügt (ich hoffe das ist erlaubt) - in der Hoffnung, dass so nicht nur das Schwarmwissen sondern vielleicht auch Versicherungs-Spezialisten wie Herrn Schleemann oder anderer Versicherungsmakler zur weiteren Transparenz beitragen mögen.
RA_20201023-Produkt-und-Policeninformationsblatt.pdf
RA_20201023-Versichererinformationsblatt.pdf
Und die Police hier (leider nur über einen externen Anbieter, da hier im Forum aus unerklärlichen Gründen kein Upload der Datei möglich war):
ra-20201023-v1-police.pdf
Denn einige Fragen bleiben:
1.) Kommt dieses Produkt vielleicht doch auch für spezielle Personen mit Vorerkrankungen bei denen eine "normale" BU nicht (mehr) möglich ist eventuell doch noch in Betracht?
Besser als gar nichts vermutlich schon... Aber vielleicht sogar auch
2.) besser als eine Dread-Disease-Versicherung?
3.) oder um z.B. um die 5 Jahre zu überbrücken, bis man die Gesundheitsfragen wieder beantworten kann oder um einen höheren Lebensstandard abzusichern?
4.) Und wie sieht es dann mit einer Kombination dieser Versicherung mit anderen "echten" Berufsunfähigkeitsversicherungen aus?
Muss so eine Versicherung wenn sie denn schon besteht bei der Angemessenheit der höhe der maximal möglichen BU-Rente berücksichtigt werden oder nicht?
Was ich bislang selbst herausfinden konnte (Achtung ich bin kein Experte - alle Angaben ohne Gewähr):
Vermittler der Versicherung ist die BachmeyerAssecuradeur GmbH und in Deutschland erhältlich über so eine Art "Direkt-Versicherungsunternehmen", der Firma Biometric Underwriting.
Auffällig ist hier schon mal, dass die dort erwähnte Schulungs-Webseite für Markler (https://felixx.de) gar nicht mehr existiert. Also sind alle Fragen zu diesem Produkt schon geklärt, sodass keine Schulungen dazu mehr notwendig sind?
Naja, oder die Seite ist halt umgezogen... schauen wir weiter...
Der "Rückversicherer" ist Lloyd's of London - also außerhalb des deutschen VAG.
Wie es da wohl jetzt mit Brexit aussieht? Naja? Immerhin gibt es da Bestrebungen das Europageschäft "zu sichern" mit der Niederlassung in Brüssel. Und da würde dann vermutlich die europäische Versicherungsaufsicht greifen.
Wer sich nun mit Lloyd's of London näher befasst, findet heraus, das Llyod's gar kein klassischer Rückversicherer ist, sondern sowas wie eine Börse für Versicherungen. Das ist schon mal ziemlich außergewöhnlich und aus ziemlich interessanten Historie begründet. Schon in der Vergangenheit waren aufgrund dieses Geschäftsmodells aber die Risiken oft nicht gedeckt, wie im deutschen Wikipedia-Artikel nachzulesen oder (wie sooft) noch detailliert in der englischen Wikipedia.
Lloyd's versichert übrigens auch so Sachen wie z.B. die Stimme von Toni Braxton und Bruce Springsteen oder das Geschlechtsteil eines Pornostars. Da finden sich gleich ganz viele Einträge darüber bei google. Artikel, die erwähnen, das solche außergewöhnlichen Schäden im Leistungsfall auch mal wirklich beglichen wurden, sind dagegen kaum zu finden.
Könnte vielleicht auch nur Marketing und Publicity für Lloyd's...?
Bleibt noch die Frage:
5.) Lassen sich im Leistungsfall überhaupt Ansprüche gegen die im Ausland ansässige Firma Lloyd's rechtlich durchsetzen?
Sicherlich nicht so leicht wie bei einer Versicherung die der deutschen Versicherungsaufsicht unterliegt.
Aber vielleicht hat's ja mal schon jemand der das hier liest gemacht bzw. machen müssen oder kennt einen Fall bei dem Leistungsansprüche gegen Lloyd's bzw. Biometric unerwriting geltend gemacht werden mussten und kann hier berichten?
Das wäre denke ich ansonsten das endgültige K.O.-Kriterium!
"Ansprüche aus dem im Inland über eine Niederlassung der Einzelversicherer betriebenen Versicherungsgeschäft können nur durch und gegen den Hauptbevollmächtigten geltend gemacht werden. Ein so erworbener Titel wirkt für und gegen die an dem Versicherungsgeschäft beteiligten Einzelversicherer. Aus einem gegen den Hauptbevollmächtigten erzielten Titel kann in die von ihm verwalteten, im Inland belegenen Vermögensgegenstände aller Einzelversicherer vollstreckt werden."
6.) Okay, und was heißt das? Kann ein Anwalt das mal übersetzen?
Und für alle, die schon beim ersten Absatz dieses doch leider etwas langer gewordenen Posts abgeschaltet haben, und sich sagen, ich bin ja gar kein Arzt.... betrifft mich also gar nicht:
Diesen "Gruppenvertrag" gibt es nicht nur für Ärzte, sondern für alle möglichen Berufsgruppen:
z.B. Fluglotsen, für EDEKA-Mitarbeiter und leute die beim Arbeiter Samariter Bund arbeiten, bei Siemens oder in zig andere Branchen über ihren Arbeitgeber (siehe hier unter "Auszug aus unseren Referenzen").
Damit wird die zu versichernde Gruppe ja schon ziemlich seeeehr groß!
Das Pendant bei den Krankenversicherungen wäre übrigens hier die DKV - Deutsche Krankenversicherungen:
da ist offensichtlich die "Gruppe" sogar nochmal ein bisschen größer.... immerhin wird hier auf der Webseite darauf hingewiesen, dass es sich um DAX-gelistete Unternehmen handelt - das ist spätestens seit Wirecard wohl aber auch kein Qualtitätskriterium mehr
Damit ihr mich jetzt nicht falsch versteht, ich will kein Bashing hier und das alles auch nicht schlecht reden. Ganz im Gegenteil, mich würde interessieren, ob es für manche vielleicht dennoch Sinn macht?
Und ich würde solche Konstrukte einfach nur gerne verstehen und nachvollziehen können:
"Transparaent" ganz im Sinne Josef Tennhagen's eben