Moralisches Dilemma: Schwarzfahren in Notfällen ok?

  • Seit einigen Wochen springt es mir in der U-Bahn immer wieder vors Auge: Die Strafgebühr fürs Schwarzfahren wurde ab dem 1. Juli von 40 auf 60 Euro erhöht. Ganz schön teuer, wenn man blöderweise sein Ticket vergessen hat (soll ja wirklich vorkommen).


    Mein erster Gedanke: Trotzdem gut so! Ich als ehrliche Abonnentin eines BVG-Abos möchte nicht auch noch für all die kostenlosen Mitfahrer zahlen.


    Gleichzeitig sehe ich aber nicht gerade wenige Obdachlose, die in der U-Bahn um Geld bitten oder die Straßenzeitung verkaufen. Eine Freundin erzählte mir davon, dass sie ihren Freund in einer Notsituation per S-Bahn ins Krankenhaus bekommen hat - und dabei in der Eile ihr Ticket vergessen hatte.


    Ist es ok, in ausgewählten Notsituationen schwarz zu fahren? Sollten Kontrolleure hin und wieder auch mal ein Auge zudrücken? Oder sollte, egal in welchen Umständen, hart durchgegriffen werden?

  • Das ist KEIN moralisches Dilemma, liebe Franziska!


    Ein Blick ins Gesetz erleichtert auch in diesem Fall die Rechtsfindung... :D


    Schau mal in die Tarifbestimmungen der BVG. Dort heißt es in § 9 Abs. 1 am Ende:


    "Die Vorschriften unter den Nummern 1 und 4 werden nicht angewendet, wenn das Beschaffen oder die Entwertung des Fahrausweises aus Gründen unterblieben ist, die der Fahrgast nicht zu vertreten hat."


    Nach einem Grundsatz des BGB (§ 276 Abs. 1) hat der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten.
    Wenn Du also aus Schusselichkeit Dein Ticket vergessen hast, musst Du das erhöhte Beförderungsentgelt bezahlen.
    Und wer absichtlich "schwarz" fährt, tut dies mit Vorsatz, muss damit auch zahlen.


    Wer seinen in Not geratenen Freund schnellstens ins Krankenhaus bringt, hat diesen Notfall nicht zu vertreten.
    Er braucht das erhöhte Beförderungsentgelt nicht zu zahlen.

  • Wie immer voller juristischem Fachwissen! Ich verneige mich :thumbup:


    Was, wenn man dem Freund den Notfall nicht ansieht (Thrombose, Probleme mit dem Ohr, etc.)? Dann müsste man ja schon sehr überzeugend wirken, dass ein Kontrolleur nicht eingreift. Dann müsste man bei einer Strafe doch eigentlich nachträglich anhand der Krankenhaus-Unterlagen nachweisen können, dass es sich um einen Notfall handelte?

  • Danke für die Blumen ;) .


    Das zweite von Dir angesprochene Problem betrifft die Darlegungs- und Beweislast.


    Der Kontrolleur vor Ort hat ohnehin keine Befugnis, das erhöhte Beförderungsentgelt zu erlassen.
    Er muss kassieren, wenn die Voraussetzungen (=Passagier ohne Ticket) vorliegen.


    Allerdings kann der Berechtigte im Nachhinein selbstverständlich Tatsachen vortragen und ggfls. auch beweisen, die dann dazu führen, dass das zu Unrecht kassierte Beförderungsentgelt zurückerstattet wird.


    Im Übrigen kann der Kontrolleur ohnehin nur die Personalien samt ladungsfähiger Anschrift feststellen, wenn der Passagier sich weigert zu zahlen. Weitere Befugnisse hat er nicht. Wer nicht sofort bezahlen kann oder will, bekommt dann sowieso ein Verwaltungsverfahren mit Zahlungsaufforderung. Und gegen jeden Bescheid kann man Rechtsmittel (=Widerspruch) einlegen und dann im Widerspruchsverfahren die Notlage darlegen und falls erforderlich auch beweisen.

  • Also ich finde das unverschämt, wenn Leute umsonst mitfahren. Beim Nofall fnde ichs ok, aber es gibt auch Leute, die das monatelang oder jahrelang durchziehen. Die werden dann hat zweimal erwischt und erst dann zahlen sie was für die Monatskarte. Echt dreist!


    60 € schrecken doch auch keinen wirklich ab! Man muss doch nur mal rechnen: In den meisten Großstädten kriege ich mein Monatsticket für 60 - 100 €. Sagen wir, ich werde 2x in 2 Jahren erwischt. Dann habe ich statt im Ducrhschnitt 1920 € nur 120 € gezahlt. Lohnenswert, wenn es nur wenige Kontrollen gibt... :cursing: