Per Mail haben wir einen interessanten Erfahrungsbericht bekommen. Mit Erlaubnis des Lesers veröffentlichen wir ihn hier:
Darf die Fluggesellschaft den Fluggast einfach stehenlassen?
„No show“ – da denkt man zunächst, eine Bühnenveranstaltung wurde abgesagt. Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine juristische Konstruktion, die Kunden einer Fluggesellschaft in bestimmten Fällen in eine absurde Situation bringt – mit erheblichen finanziellen Konsequenzen und möglicherweise folgenreichen Verspätungen. Kurz gesagt: Auf einer mehrere Etappen umfassenden Flugreise, bei der man eine Teilstrecke nicht geflogen ist, behalten sich Fluggesellschaften das Recht vor, den Passagier von allen weiteren Teilstrecken, und das heißt vor allem typischerweise auch vom abschließenden Rückflug nach Deutschland auszuschließen. Klingt unglaublich, ist es auch – und mittlerweile steht die Rechtsprechung eher auf Seiten der Kunden, ohne dass sich an der Praxis etwas geändert hätte. Wie kann das alles sein?
Am besten lässt sich die verbraucherfeindliche Konstruktion an einem Beispiel verdeutlichen. Familie F. hat in einem Reisebüro einen Amerika-Flug gebucht, bestehend aus einem Hin- und Rückflug Frankfurt – New York und, ganz wichtig, einigen weiteren Flügen im Landesinneren, also z. B. New York – Chicago, Chicago – St. Louis und St. Louis – New York, von wo aus dann wieder die Rückreise angetreten werden soll. Das Ticket für insgesamt knapp 2500 Euro ist ein Flugcoupon mit fester Flugscheinreihenfolge. Nun möchte Familie F. einen Tag früher als im Ticket vorgesehen von St. Louis nach New York zurückfliegen, findet ein günstiges Angebot bei einem amerikanischen Anbieter, bucht den Flug und lässt den gebuchten und schon bezahlten Flug von St. Louis ausfallen. Die Familie erwartet gar nicht, dass man für diesen nicht-angetretenen Flug eine Rückzahlung bzw. Teilentschädigung erhält. Die wirklich böse Überraschung erfolgt aber am Flughafen in New York, an dem sich Familie F. rechtzeig für den Rückflug nach Deutschland einfindet. Ihre gebuchten und bezahlten Plätze sind bereits verkauft. Höflich wird man darüber informiert, dass man durch den bloßen Nichtantritt eines Teilabschnitts der Reise zugleich von der Gesamtreise zurückgetreten sei. Diese Rücktrittserklärung werde – und hier fällt nun das Wort – allein durch das Nichterscheinen („no show“) abgegeben.
Die Konsequenzen sind einschneidend: Die Plätze sind vergeben, d. h. von der Fluggesellschaft erneut, also zum zweiten Mal verkauft, ohne dass die Familie selbst den bezahlten Betrag oder einen angemessenen Teilbeitrag zurückerhielte. Die Maschine ist zudem ausgebucht, so dass man erst am nächsten Tag (oder sogar noch später) zurückfliegen kann. Für die Familie kostet allein dieses neue Rückflugticket 4.600 Euro, weil es sich um einen Linienflug handelt und nur noch teure Tickets angeboten werden. Das Ticket wäre übrigens genauso oder sogar teuer geworden, wenn am selben Tag in der ursprünglich gebuchten Maschine noch Platz gewesen wäre. Ja, es ist nicht unwahrscheinlich, dass man auf denselben Plätzen sitzt, die man in Deutschland bereits vorab reserviert hatte; nur muss man sie noch einmal bezahlen.
Drei Fragen stellen sich: (1) Hätte das Familie F. wissen können oder müssen, (2) entspricht diese Praxis überhaupt den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und (3) ist diese Praxis überhaupt statthaft?
Vom Reisebüro war Familie F. nicht informiert worden. Das Reisebüro hatte bei der Bestellung der Flugtickets, die AGB „durch Klicken“ im Online-Verkehr für den Kunden bestätigt, sie aber weder ausgedruckt noch die Kunden ausdrücklich auf die „no show“-Klausel hingewiesen.
Zurück in Deutschland hat sich Familie F. die Klausel gründlich angesehen, aber auch beim wiederholten Lesen nicht annähernd daraus auf die Praxis geschlossen, die sie dann leidvoll erfahren hatte. Hier zwei der einschlägigen Passagen, entnommen den AGB der Lufthansa, weltweit aber vergleichbar anderen Gesellschaften:
1. Passage aus Abschnitt 3.3.2 der AGB: „Sofern Sie an Ihrer Beförderung Änderungen vornehmen wollen, sind Sie verpflichtet, im Vorfeld mit uns Kontakt aufzunehmen. Wir weisen besonders darauf hin, dass gewisse Veränderungen keine, andere jedoch Erhöhungen des Flugpreises nach sich ziehen können.“
Kurzer Kommentar: Da steht zwar etwas von einer „Informationspflicht“, aber nichts davon, dass man nicht mehr befördert wird; höchstens dass der Preis sich ändern kann. Am Rückflug nach Deutschland hatte die Familie keine Änderungen vorgenommen.
2. Passage aus Abschnitt 3.3.3 der AGB: „Sofern Sie sich für einen Tarif entschieden haben, der die Einhaltung einer festen Flugscheinreihenfolge vorsieht, beachten Sie bitte: wird die Beförderung nicht auf allen oder nicht in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge der einzelnen Teilstrecken bei ansonsten unveränderten Reisedaten angetreten, werden wir den Flugpreis entsprechend Ihrer geänderten Streckenführung nachkalkulieren. Dabei wird der Flugpreis ermittelt, den Sie in Ihrer Preisgruppe am Tag Ihrer Buchung für Ihre tatsächliche Streckenführung zu entrichten gehabt hätten. Dieser kann höher oder niedriger sein als der ursprünglich bezahlte Flugpreis.“
Kurzer Kommentar: Auch hier kein Wort davon, dass man bei Nicht-Einhaltung der einzelnen Flug-Teilstrecken nicht mehr befördert wird. Nur von einer „Nachkalkulation“ ist die Rede, die sogar zu einem niedrigeren Preis führen kann.
Fazit: Familie F. hat also einen Abschlussflug am Ende einer Reise zweimal bezahlen müssen, dieses letzte Ticket für ein Mehrfaches des in Deutschland für das Gesamtticket bezahlten Preises. Sie war darüber nicht vom Reisebüro informiert worden und sieht sich im Nachhinein mit AGB konfrontiert, die man entweder als unverständlich bezeichnen muss oder die gar nicht die Praxis gestatten, die Familie F. erfahren hat.
Die Absurdität, dass die Mitnahme auf einen bereits bezahlten Flug verweigert wird und die Plätze von der Fluggesellschaft doppelt verkauft werden, hat wohl auch Gerichte veranlasst, bei Streitigkeiten für die Kunden zu entscheiden. So hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eine Klausel für unzulässig erklärt, wonach Kunden die gebuchten Flüge nur in der im Flugschein angegebenen Reihenfolge nutzen durften (AZ: Xa ZR 5/09). Das LG Frankfurt, 24. Zivilkammer (Entscheidungsdatum: 30.08.2007 Aktenzeichen: 2-24 S 39/07, 2/24 S 39/07) urteilt: „Da der Reisevertrag aber aus mehreren Leistungsteilen besteht, muss die Nichtinanspruchnahme eines Leistungsteils nicht zwangsläufig bedeuten, dass von dem gesamten Reisevertrag zurückgetreten werden soll. Für die Annahme eines Erklärungswillens bedarf es daher bei einem Reisevertrag zusätzlicher Anhaltspunkte, dass ein Rücktritt erklärt werden soll, wenn der Reisende nicht am Abflugschalter erscheint. Um auszuschließen, dass nicht eine bloße Verspätung vorliegt, muss der Reiseveranstalter noch eine weitere Zeit zuwarten, um dem Reisenden die Gelegenheit zu geben, sich zu melden und die weitere Fortführung des Vertrages anzukündigen. Da für die Beklagte vorliegend keine weiteren Anhaltspunkte für einen Rücktritt des Klägers vorgelegen haben, stellt das bloße Nichterscheinen des Klägers zum Abflug gerade keine konkludente Kündigungserklärung im Sinne von § 651 i I BGB dar.
Diese Entscheidungen haben aber an der üblichen Praxis nichts geändert, wie die Familie erfahren musste. Sie war übrigens am Tag des Abfluges nach Deutschland weit früher als die vorgeschriebene Zeit zum Einchecken für einen Transatlantikflug am Schalter der Fluggesellschaft. Die hatte aber die Plätze schon längst verkauft, also erst gar nicht gewartet, ob die Reisenden noch kommen, und ihnen keine Gelegenheit gegeben,
„sich zu melden und die weitere Fortführung des Vertrages anzukündigen.“
Die in den Tickets anteilig enthaltenen Steuern für den nicht-angetretenen Flug wird Familie F. ersetzt bekommen, nicht aber den Flugpreis selbst bzw. den gravierenden finanziellen Schaden, der durch den erneuten Kauf der sehr teuren Rückflugtickets entstanden ist. Um genau diese Kosten erstattet zu kriegen, wird sie vor Gericht gehen müssen: mit einer Klage entweder gegen das Reisebüro wg. Verletzung der Informationspflicht oder gegen die Fluggesellschaft wg. unlauterer oder falsch ausgelegter AGB.