Trennungsunterhalt und nachehelicher Unterhalt

  • Hallo,


    ich bin neu hier, habe mich auch schon ein wenig umgesehen, so dass ich hofffe, dass ich nicht eine bestehende Frage wiederhole, weil ich sie vielleicht übersehen habe.


    In 2013 habe ich mich von meinem Mann getrennt und in einem Vergleich wurde festgelegt, dass ich 200,-- € Trennungsunterhalt an ihn zahle. Im Oktober 2015 wurden wir geschieden und ich zahle immer noch gemäß diesem Vergleich. Da die Zahlung aber ausdrücklich dort als Trennungsunterhalt tituliert ist, frage ich mich, ob ich nicht einfach die Zahlung einstellen kann, denn nachehelichen Unterhalt hat mein Ex noch nicht beantragt.


    Mein Anwalt meinte, der Vergleich sei vollstreckbar und mein Ex könne damit das Geld ggf. über einen Gerichtsvollzieher eintreiben. Nach meinen Recherchen verhält es sich aber so, dass er Nachehelichen Unterhalt beantragen muss. Ich möchte die Zahlung im Moment nicht einfach einstellen, weil ich keine Lust auf einen Gerichtsvollzieher habe.


    Kennt sich hier jemand aus und kann mir helfen?


    Vielen Dank im voraus
    OR

  • Der Hinweis Ihres Anwaltes auf die Vollstreckbarkeit verwundert sehr!


    Grundsätzlich sind Unterhaltstitel selbstverständlich vollstreckbar.
    In Ihrem Fall fehlt jedoch eine wichtige Voraussetzung!
    Trennungsunterhalt setzt nach § 1361 Abs. 1 BGB ein bestehende Ehe voraus.


    Wenn Sie im Oktober geschieden wurden, ist das Urteil spätestens im November rechtskräftig geworden.
    D.h. Sie haben seit November 2015 keine bestehende Ehe mehr.


    Ob Ihr geschiedener Mann Anspruch auf nachehelichen Unterhalt hat, ist eine ganz andere Frage, die notfalls per Gerichtsurteil geklärt werden muss.
    Trennungsunterhalt ist das jedenfalls nicht mehr.


    Lassen Sie sich von Ihrem Anwalt erläutern, weshalb er glaubt, dass ein nicht mehr existierender Anspruch vollstreckt werden könnte. Er soll Ihnen genau die Rechtsgrundlagen nennen. Dann posten Sie das hier.


    Wenn Sie seit November ohne Rechtsgrundlage gezahlt haben, steht Ihnen gegen Ihren Ex-Mann ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Beträge unter dem Gesichtspunkt der "ungerechtfertigten Bereicherung" (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB). Sollte bei Ihrem Ex-Mann nichts zu holen sein, wäre ein Haftungsanspruch gegen Ihren Anwalt zu prüfen.


    Der hat auf jeden Fall eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für solche Fälle, in denen er einem Mandanten eine falsche Auskunft gibt.

  • Mein Anwalt hat mir nur lapidar gesagt, die Rechtsgrundlage wäre, dass mein Ex-Mann nur eine kleine Berufsunfähigkeitsrente von ca € 1.100,-- bekommt.


    Inzwischen habe ich von meinem Ex auch eine Zahlungserinnerung per E-Mail bekommen. Von daher würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mir nochmals einen Tipp hierzu geben könnten.


    Vielen Dank!

  • Ihr Anwalt ist flapsig! Das sollten Sie sich als zahlende Mandantin nicht bieten lassen.


    Die Tatsache, dass Ihr geschiedener Mann nur eine "kleine Berufsunfähigkeitsrente" bekommt ist KEINE RECHTSGRUNDLAGE.


    Zum einen ist eine BU-Rente von 1.100 € schon mal nicht klein. Sie entspricht in etwa dem Rentenbetrag, den ein Normalverdiener nach 45 Jahren ununterbrochener Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung erwarten darf.
    Damit ist ein solcher Betrag für den Durchschnitt der Bevölkerung eine angemessene Lebensgrundlage. Weshalb nicht auch für Ihren Ex-Mann?


    Zum anderen könnte eine Rechtsgrundlage nur § 1572 BGB sein.
    Den können Sie hier selbst nachlesen: Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen


    Ob die Voraussetzungen dafür bei Ihrer früheren Ehe vorliegen, kann ich mangels Informationen nicht beurteilen.
    Das kann im Einzelfall auch ziemlich kompliziert sein.


    Jedenfalls gilt der Grundsatz, dass NACH der Ehe jeder Ehegatte für sich selbst sorgen muss.
    Das lesen Sie hier: Grundsatz der Eigenverantwortung


    Ob in Ihrem Fall die Ausnahmesituation "Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen" vorliegt, ist halt eine sogenannte "Tatfrage". D.h. es muss der Tatbestand ermittelt werden und dann subsumiert werden, ob die Voraussetzungen des Gesetzes erfüllt sind.


    Wenn Sie sich mit dem Unterhaltsempfänger darüber nicht einig sind (und so sieht es ja aus...), muss der Sie eventuell auf nachehelichen Unterhalt verklagen. Damit entsteht für Sie beide ein neues Prozesskostenrisiko.


    Geht die Sache für Sie schief, werden Sie zur nachehelichen Unterhaltszahlung verurteilt und haben die Prozesskosten zusätzlich zu tragen. Steht Ihrem Ex kein Unterhalt mehr zu, wird seine Klage abgewiesen und er zahlt die Prozesskosten und auch die Kosten Ihres Anwalts, der Sie bei der Klage verteidigt.


    Bis dahin haben Sie hoffentlich einen neuen Anwalt, der davon auch überzeugt ist, dass Sie keine nachehelichen Unterhaltspflichten mehr haben. Schicken Sie Ihren derzeitigen Anwalt in die Wüste. Das ist keine gute Interessenvertretung.


    Wie gesagt: es ist offen, ob Sie zahlen müssen oder nicht. Das hängt von Ihrer Einzelfallsituation ab.
    Aber "Trennungsunterhalt" ist es nicht mehr. Und deshalb kann Ihr Ex-Mann den auch nicht vollstrecken.
    Ob wirklich ein Anspruch aus § 1572 BGB besteht, müsste notfalls gerichtlich geklärt werden.
    (Es sei denn, Sie erkennen den Anspruch von vornherein an. Aber das ist ja nicht der Fall, sondern hätten Sie dies hier nicht geschrieben.)


    Viel Erfolg!

  • Super, vielen Dank für die sehr gut nachvollziehbare Begründung inkl. der Links.


    § 1572 BGB würde vermutlich zutreffen, allerdings haben wir in der nächsten Woche einen Notartermin, in dem wir vereinbaren, dass er an mich € 20.000,-- für unser gemeinsames Haus zahlt und auf Unterhalt verzichtet.


    Somit ist dann das Thema Unterhalt durch (es sei denn, er wird sozialhilfebedürftig, wovon bei einem Haus mit einem geschätzten Verkehrswert von 250.000,-- sicherlich nicht ausgegangen werden kann).


    Aufgrund Ihres ersten Hinweises oben ziehe ich jetzt in Erwägung, den zuviel gezahlten Trennungsunterhalt zurückzufordern und habe diesbezüglich einen anderen Anwalt kontaktiert.