Widerruf Lebensversicherungen

  • Der Brief beginnt mit folgendem Satz: "Unschädlich ist, dass die Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die Schriftform enthält".

    Diesen Satz würde ich persönlich so deuten:


    „Es spielt für den Widerruf der Versicherungen keine Rolle, ob man auf die Schriftform bei Widerruf hingewiesen wurde.“


    Gemäß den gängigen Urteilen muss darauf aber definitiv auf die Schriftform hingewiesen werden und dieser Hinweis war nach meinen Recherchen ein ausschlaggebender Punkt. So konnte der Versicherungsnehmer vom Widerrufsjoker Gebrauch machen.


    Bitte beachte, dass ich nicht so tief in der Materie stecke.


    Vielleicht kann das jemand mit juristischem Hintergrundwissen besser deuten / erklären.


    Und zur angebotenen Rückzahlsumme: Ich würde hier das Prinzip „nimm nie ein erstes Angebot an“ ausgehen. Bei Prüfung durch einen Rechtsanwalt oder die VZ kannst du da vielleicht noch einen höheren Betrag rausholen.


    Berichte mal bitte, was rausgekommen ist. Ich will nächstes Jahr auch klagen.

  • Es gibt einge Sollbruchstellen in den Verträgen. Eine davon ist grob vereinfacht, dass der Gesetzgeber keine Schriftform für den Widerruf vorsah (also Kündigung z.B. per E-Mail möglich gewesen wäre), der Anbieter aber den Eindruck erweckt hat, dass nur die Schriftform zulässig war. Damit hätten Kunden von einem Widerruf abgeschreckt werden können, die gerade keine Briefmarke zur Hand hatten. Durch die falsche Belehrung wurde rechtlich gesehen gar nicht belehrt. Die Versicherer hätten eine neue Belehrung schicken können, wollten aber in aller Regel nicht riskieren, damit die Pferde bzw. ihre Kundenscheu zu machen. In der Folge könnte ich morgen (oder nächste Woche oder nächstes Jahr) den Vertrag nochmal durchlesen, darüber stolpern und hätte dann 14 Tage oder 1 Monat Zeit für einen Widerspruch, nach dem der Versicherer dann den Kunden so stellen muss, als habe es den Vertrag nie gegeben.

    Den Hintergrund des ersten Satzes in dem Schreiben kenne ich nicht, aber es sieht nach einer Nebelkerze aus.


    Entweder sie müssen nicht zahlen und sie wissen das, dann tun sie es nicht und machen auch kein Angebot. Oder sie müssen zahlen oder es ist ihnen selbst unklar, dann pokern sie.

  • Hier mal ein kleines Update meinerseits:

    Mittlerweile habe ich die Unterlagen von der Versicherung aus der Abschlusszeit erhalten und diese direkt an die Verbraucherzentrale Hamburg zur Überprüfung bezüglich eines möglichen Widerrufs weitergeleitet (mal schauen was da raus kommt).


    Ansonsten noch ganz spannend:

    "Die Anlage des Versicherungsguthabens (Deckungskapital und erworbene laufende Überschussanteile) erfolgt zu 35% in Aktien oder Aktienfonds. [...] Wegen des höheren Anlagerisikos beträgt die garantierte Mindestverzinsung statt 3,25% bei der klassischen Kapitalanlage mit festverzinslichem Anlageschwerpunkt in vorliegender Berechnung 1,5%"


    Ich weiß nicht, in welche Aktien (-fonds) da investiert wurde. Aber wie man über die letzten 20 Jahre so eine miese Rendite einfahren konnte ist mir echt ein Rätsel. Über die verpasste Rendite will ich gar nicht nachdenken -.-


    Ich gebe Bescheid, wenn ich was von der VZ höre :)

  • Top. Ich bin bin gespannt und freue mich auf weitere Infos.

  • Hingegen kurz davor vom gleichen BGH-Senat:


    "Die Ausübung des Widerspruchsrechts (...) verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (hier: Schriftform statt Textform)."

    Urteil vom 15. Februar 2023, IV ZR 353/21


    Ich habe bisher noch keine allgemein verfügbare kundige Kommentierung dazu gefunden.

  • Es wurde gemäß meinem Verständnis des Urteilstextes nur die Begründung des LG als unrichtig anerkannt.


    In der Vorinstanz wurde der Widerspruch abgelehnt, weil das Fehlen der Form des Widerspruchs eben kein geringfügiger Mangel sei. Gemäß Einschätzung des BGH ist es sehr wohl ein Mangel.


    Der BGH hat den Fall damit an das LG zurückgespielt. Nun muss der Widerspruch vom LG neu geprüft werden. Das Ganze unter der Prämisse eines vorhandenen Mangels, der eben nicht unerheblich ist.


    Ich bin gespannt. Ich habe auch noch alte Lebensversicherungen, die ich gerne loswerden möchte.

  • Es sind zwei verschiedene Urteile. Kurz und knapp nach meinem Verständnis:


    Februar-Urteil: Fehlerhafte Widerspruchsbelehrung mit Schriftform statt Textform -> nur geringfügiger Belehrungsfehler -> kein Widerspruchsjoker


    März-Urteil: Gar keine Widerrufsbelehrung -> kein geringfügiger Belehrungsfehler -> Widerspruchsjoker


    Die Argumentation im Februar-Urteil geht ungefähr so, dass die Belehrung zwar fehlerhaft sei. Aber nicht so schlimm, denn die Kläger wurden über die Widerrufsmöglichkeit an sich schon informiert. Der Unterschied zwischen Text- und Schriftform sei nicht so groß und würde "die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung (...) geltenden Frist abgehalten haben." Bei vorhandenem Widerspruchswillen hätte er doch einfach einen Brief schreiben können. Und mit dem Brief wäre der Widerspruch sogar automatisch gleichzeitig in Textform angekommen.


    Das verwirrt mich. Wenn dem Gesetzgeber der Unterschied zwischen Text- und Schriftform wie im Urteil angenommen nicht so wichtig gewesen sein sollte, warum hat er denn überhaupt "Textform" in das Gesetz geschrieben und nicht gleich die Entscheidung den Unternehmen und den Kräften des Marktes überlassen? Die Kläger könnten vielleicht noch prüfen lassen, ob die Sicht mit der die damals die Gesetzesänderung auslösenden EU-Richtlinie 2002/83/EG konform geht.

  • Update: Die Verbraucherzentrale hat mir einen Widerspruch empfohlen mit der Begründung

    • Die Widerspruchsbelehrung sei drucktechnisch nicht hervorgehoben und mit "schriftlich" sei die falsche Form genannt worden
    • Es fehle ebenfalls der Hinweis, dass zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügen würde

    Deshalb habe ich bei der LV Widerspruch eingelegt und vor einigen Tagen folgende Rückmeldung hierauf erhalten:

    Was meint ihr dazu? Weiter zum Ombudsmann oder aufgeben? Ich wusste nicht, dass eine Überschreibung der LV von meiner verstorbenen Mutter auf mich da Probleme machen würde :/

  • Der Ombudsmann wird von den Versicherungen bezahlt also wird der aller Voraussicht nach nix machen was den Versicherungen schadet, ich glaube das du ohne versierten Versicherungsanwalt da nicht weiterkommst. Aber das ist auch nur meine Meinung.....

  • Was meint ihr dazu? Weiter zum Ombudsmann oder aufgeben? Ich wusste nicht, dass eine Überschreibung der LV von meiner verstorbenen Mutter auf mich da Probleme machen würde :/

    Meine eigene Erfahrung: Ombudsmann nutzen.

    Kostenlos.

    Man bemüht sich um Lösung.
    Ergebniss : Teils Volle Zustimmung. Teils Versuch eines Vergleiches.
    Du hast klasse Vorarbeit mit dem Gutachten der VZ geleistet.


    Invest:

    Unterlagen zusammensuchen und übermitteln.

    Geduld (mein erfolgreiches Ombudmannverfahren dauerte 6 Monate)

  • (aus dem Schreiben der Versicherung) "so käme die Rückzahlung der Prämien und Nutzungen schon deswegen nicht in Betracht, weil das Recht, der Vertragserklärung zu widersprechen, verwirkt ist."

    Das ist der Klassiker unter den Gegenargumenten. Wenn eine komplette Ablehnung kommt, dann ist die immer mit dabei. Immer wenn der Vertrag irgendwie angefasst wurde, wird damit argumentiert. Der Gedanke dahinter ist, dass der Kunde durch sein aktives Handeln gezeigt hat, dass er die Versicherung auf jeden Fall nutzen wollte und das auch getan hat. Danach noch zu widerrufen wäre - sie drücken wie oben etwas anders aus - irgendwie gemein vom Kunden.


    Manchmal versuchen sie auch das mit dem Argument Dynamik. Und das geht sogar in beide Richtungen: Dynamik akzeptiert -> Kunde war so zufrieden mit dem Vertrag, dass er sogar aufgestockt hat -> verwirkt. Dynamik widersprochen -> Kunde hat seinen Vertrag aktiv gestaltet -> verwirkt.


    Um wie viel Euro ging es nochmal? Bei einer großen Summe würde ich zum sehr darauf spezialisierten Anwalt gehen, sonst die Ombudsstelle ausprobieren.

  • Vorliegend wurde nach Vertragsabschluss die Bitte geäußert, die neue Vertragspartnerin in den Versicherungsbetrag einzubeziehen. Dies ist als Bestätigung des Interesses am Fortbestand des Vertrags zu bewerten. Ein Versicherer muss nicht damit rechnen, dass das Zustandekommen des Vertrags durch den neuen Versicherungsnehmer in Abrede gestellt wird. Der Versicherungsnehmerwechsel wurde beauftragt und von uns bestätigt.

    Kurzer rechtlicher Exkurs:


    Das BGB geht davon aus, dass Vertragspartner sich immer redlich verhalten. Wenn etwas unklar ist, wird ein Vertrag nach zwei Dingen ausgelegt: dem wirklichen Willen der Beteiligten (§ 133 BGB) und nach Treu und Glauben (§157 BGB).

    Manchmal weicht beides voneinander ab, dann wird es etwas seltsam nachzuvollziehen.

    Deine Sichtweise ist eher die nach dem wirklichen Willen der Beteiligten: Du wolltest Versicherungsnehmer werden, um dir einen Überblick über die Versicherung zu verschaffen und ggf. zu widerrufen

    Die Versicherung argumentiert eher mit Treu und Glauben - Die Versicherung hatte lange Bestand, es wurde sogar der VN umgeschrieben - das alles lässt doch (aus deren Sicht!) drauf schließen, dass kein Widerruf mehr kommen würde.


    Maßgeblich bei der Auslegung ist aber die Sicht eines objektiven, unbeteiligten Dritten: Zu welchem Schluss würde der bei der Auslegung kommen? Da würde ich vorsichtig eher deine Sichtweise annehmen.


    Letztlich gehe ich aber davon aus, dass hier ohne Anwalt nichts zu machen ist und das Ganze wahrscheinlich gerichtlich geklärt werden wird.

    Taxation is not charity. It is not voluntary. As we shrink the state and make government smaller, we will find that more and more people are able to take care of themselves.


    Grover Norquist

  • Maßgeblich bei der Auslegung ist aber die Sicht eines objektiven, unbeteiligten Dritten (...) Letztlich gehe ich aber davon aus, dass hier ohne Anwalt nichts zu machen ist und das Ganze wahrscheinlich gerichtlich geklärt werden wird.

    Das geht denn meist zu Gunsten des Kunden aus. Von den meisten Fällen erfährt die Öffentlichkeit aber nichts, weil sich kurz vor Schluss dann doch verglichen oder es zu einem Versäumnisurteil kommt (bei dem keine Urteilsbegründung erstellt und veröffentlicht wird).


    Wobei es ein Urteil (aus Frankfurt?) gibt, bei dem die Versicherung mal Recht bekam und auf das von der Seite immer wieder verwiesen wird (und nicht auf die hundert anderen Fälle). Das war aber wohl auch ein besonders krasser Fall, weil der Versicherungsnehmer u.a. ein Policendarlehen auf die Versicherung aufgenommen hatte.

  • Von den meisten Fällen erfährt die Öffentlichkeit aber nichts, weil sich kurz vor Schluss dann doch verglichen oder es zu einem Versäumnisurteil kommt (bei dem keine Urteilsbegründung erstellt und veröffentlicht wird).

    Natürlich nicht, es wäre doch auch zu dumm für die Versicherung, wenn es ein Grundsatzurteil geben würde, auf das sich andere Kunden dann einfach berufen könnten.

    So darf sich jeder Kunde als 'Einzelfall' fühlen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Kunden irgendwann einfach aufgeben, weil Sie die Anwaltskosten scheuen.

  • Das geht denn meist zu Gunsten des Kunden aus. Von den meisten Fällen erfährt die Öffentlichkeit aber nichts, weil sich kurz vor Schluss dann doch verglichen oder es zu einem Versäumnisurteil kommt (bei dem keine Urteilsbegründung erstellt und veröffentlicht wird).


    Wobei es ein Urteil (aus Frankfurt?) gibt, bei dem die Versicherung mal Recht bekam und auf das von der Seite immer wieder verwiesen wird (und nicht auf die hundert anderen Fälle). Das war aber wohl auch ein besonders krasser Fall, weil der Versicherungsnehmer u.a. ein Policendarlehen auf die Versicherung aufgenommen hatte.

    Ich weiß, ich hatte das Vergnügen auch schon...

    Taxation is not charity. It is not voluntary. As we shrink the state and make government smaller, we will find that more and more people are able to take care of themselves.


    Grover Norquist