Erbrecht

  • Hallo, vielleicht kann uns jemand einen Tip geben. Opa W ist 2017 verstorben und Witwer. Er hinterlässt drei Kinder B, G und S. B hat 2015 sein Einfamilienhaus geschenkt bekommen. Verkehrswert gemäß Gutachter € 200.000,-. Laut Testament ist S Alleinerbin. G wird weder bei der Schenkung noch beim Testament erwähnt. Der Nachlass besteht aus Bankguthaben von € 10.000,-, einer Hypothek von € 40.000,- zzgl. Zinsen von € 3.000,- bis zur möglichen Kündigung, einem Darlehen von € 10.000,-, Schenkungsabschlag 10% p.a.= € 20.000,-, Wohnrecht 7.500,-, diverse Nebenkosten € 4.000,- . Wie wird der Nachlass und der Pflichtteilergänzungsanspruch berechnet? Danke..

  • Hallo,


    da ich vor ein paar Jahren (leider) auch mit dem Erbrecht zu tun hatte, kann ich vielleicht ein paar Ratschläge beisteuern. Ich versuche es einfach mal. :)


    Es gibt hier gleich mehrere Gründe, sich in dieser Sache von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen:
    Einerseits geht es um nennenswerte Summen.
    Andererseits kann der Familienfrieden durch einen Erbstreit beeinträchtigt werden. Selbst wenn es vorher schon Streit gab, Erbstreitigkeiten können alles noch sehr viel schlimmer machen - eine persönliche Erfahrung. Entweder jemand fühlt sich benachteiligt. Oder jemand empört sich über eine -vermeintlich oder tatsächlich- viel zu hohe Forderung oder ein viel zu niedriges Angebot eines Verwandten.
    Und nicht zuletzt kommt es beim Erbrecht auf viele Kleinigkeiten an, die nur mit den vollständigen Unterlagen zu beantworten sind.


    Deswegen empfehle ich eine qualifizierte, individuelle Rechtsberatung bei einem Rechtsanwalt. Falls eine Rechtsschutzversicherung besteht: Manche Versicherungen übernehmen sogar bestimmte Beratungsleistungen nach einem Erbfall, Nachfragen zahlt sich aus. Die eventuellen Briefwechsel und Gerichtsverfahren werden nach meiner Kenntnis leider nicht übernommen. :(


    Der Nachlass ist das hinterlassene Vermögen, einschließlich der Verbindlichkeiten §1922 BGB
    So wie ich die Beschreibung verstehe besteht der eigentliche Nachlass überwiegend aus Verbindlichkeiten.
    - Positiv ist das Bankguthaben von 10.000 Euro
    - Die erwähnte Hypothek von 40.000 Euro ist vermutlich nur die im Grundbuch eingetragene Belastung und nicht die Höhe des ausstehenden Darlehens? In diesem Fall handelt es sich nur eine Absicherung für die Bank. Weil auch kein Immobilienvermögen im Nachlass ist, haftet noch nicht mal ein Gegenstand aus dem Nachlass für die Schulden. Wenn diese Vermutungen richtig sind, gehört diese Summe von 40.000 Euro nicht als Verbindlichkeit zum Nachlass.
    - Zum Nachlass zählt das Darlehen in Höhe von 10.000 Euro sowie die Zinsen zum Zeitpunkt des Erbfalls. Wann eine Kündigung erfolgen könnte ist nach meiner Kenntnis nicht relevant.
    - Wenn mit dem Schenkungsabschlag die Ermäßigung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach §2325 BGB gemeint ist, gehört dieser Betrag nicht zum Nachlass. Das ist nur der Betrag, der nicht mehr in den Pflichtteilsergänzungsanspruch einfließt.
    - Das Wohnrecht ist vermutlich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit §1093 BGB und wäre damit nicht vererblich. Wenn diese Vermutung richtig ist, gehört das Wohnrecht nicht zum Nachlass
    - Die Nebenkosten von 4.000 Euro werden aus dem Nachlass bezahlt


    Was mir spontan (und außerhalb der Fragestellung) auffällt: Warum sollte die Alleinerbin S das Erbe antreten? Dem Bankguthaben von 10.000 Euro stehen ca. 14.000 Euro Schulden und Kosten gegenüber, wenn ich die Angaben zur Hypothek missverstanden habe sind es sogar über 54.000 Euro Schulden.
    Ist vielleicht noch etwas Wertvolles im Nachlass enthalten? Wertvolle Möbel, Münzen, Briefmarken oder ähnliches? Gibt es ein Verzeichnis, in dem die Vermögensgegenstände aufgelistet sind?


    Allgemein gesagt wird durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch der Pflichtteilsberechtigte so gestellt, als wäre die Schenkung nicht erfolgt, abzüglich des jährlichen 10%-igen Abschlags nach der Leistung des Gegenstands. Der Pflichtteil berechnet sich dann auf Basis des Nachlasswertes plus dem Wert des verschenkten Gegenstands zum Zeitpunkt des Erbfalls (abzüglich jährlichem Abschlag). Wenn ein geringerer Wert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Schenkung nachgewiesen wird, wird nur der geringere Wert angesetzt (wiederum abzüglich des jährlichen Abschlags). Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Erbteils bei gesetzlicher Erbfolge. Wenn es nur drei gleichermaßen erbberechtigte Kinder gibt, so beträgt der Pflichtteil ein Sechstel. Soweit die Theorie, die sich total simpel anhört.
    So ganz einfach ist der Anspruch leider nicht zu berechnen. Z.B. wann der Gegenstand geleistet wurde hängt von den genauen Vereinbarungen der Schenkung ab und muss individuell beurteilt werden. Wurde die Immobilie ohne jede Einschränkung und vorbehaltslos übertragen? Wie hoch ist die Schenkung noch, wenn man den Wert eventueller Vorbehalte oder Einschränkungen berücksichtigt? Ich komme auf diese Fragen wegen des erwähnten Wohnrechts, dass sich vielleicht auf die geschenkte Immobilie bezieht.
    Es ist auch möglich, dass in der Schenkungsvereinbarung weitere Bestimmungen enthalten sind, die für den Pflichtteilsergänzungsanspruch relevant sein könnten. Vielleicht sind sogar weitere Gegenleistungen vereinbart, aber nicht wertmäßig beziffert, wie z.B. die Pflege im Falle der Pflegebedürftigkeit?


    Da Opa W Witwer war könnte es z.B. auch eine Rolle spielen, ob die Immobilie im (Teil-)Eigentum seiner Frau gestanden hat und wann seine Frau verstorben ist. Denn Pflichteilsansprüche sind vererblich, können aber verjähren.


    Dies alles könnte z.B. bei der Beratung mit einem Rechtsanwalt geklärt werden. Den Schenkungsvertrag muss B nach meiner Kenntnis auf Aufforderung vorlegen. Da es sich um eine Immobilie handelt, dürfte die Schenkung sogar notariell beurkundet worden sein.


    Zuletzt möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass ich hier nur beispielhafte Ratschläge aufgrund meiner persönlichen Erfahrung geben möchte und eine individuelle, qualifizierte Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt empfehle.


    Und ich hoffe, dass eine Einigung im gegenseitigen Einverständnis möglich ist. :)


    viele Grüße
    erdnuss

  • @erdnuss hat vorstehend bereits viel Richtiges geschrieben.


    Eine Ergänzung noch: die Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs über 10 Jahre gem. § 2325 Abs. 3 BGB setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass die Schenkung OHNE irgendwelche Auflagen oder Rückhalte erfolgt ist.


    Da hier Opa W - so wie ich es verstehe - sich ein Wohnrecht vorbehalten hat, hat die 10-Jahres-Frist noch überhaupt nicht zu laufen begonnen. D.h. der "Schenkungsabschlag von 10 %" von dem @Sunrise96 schreibt, findet NICHT STATT.


    Fazit auch von meiner Seite: eine qualifzierte Beratung ist dringend empfohlen!


    Generell zeigt der Fall einmal mehr, dass bei Testamenten oft an der falschen Stelle gespart wird. Hätte Opa W zu Lebzeiten jemanden konsultiert, der Ahnung vom Erbrecht hat, hätte er eventuell ein anderes Testament verfasst und seinen Kindern nicht eine derart schwierige Situation hinterlassen. Wer nicht alle Kinder gleich behandeln will, sollte stets auch die Möglichkeit der Testamentsvollstreckung in Betracht ziehen! Ein Testamentsvollstrecker kann bewirken, dass es keinen Streit unter den Erben gibt und der Wille des Erblassers umgesetzt wird.

  • Ich habe so meine Schwierigkeiten, wenn bei bestimmten Fragestellungen immer wieder nur auf einen konkreten Dienstleister hingewiesen wird, wo es doch auch genug andere gibt.


    Das gilt insbesondere dann, wenn die konkrete Person in meinen Augen letztlich nicht überzeugen kann. Unter dem hier regelmäßig geposteten Link (www.nachlassbayern.de) findet man den Freiherr von Malsen, er ist Diplom-Kaufmann, hat also ein BWL-Studium erfolgreich abgeschlossen und auch noch Jura studiert. Er ist aber laut seiner eigenen Website offenbar weder Diplom-Jurist, Rechtsanwalt oder hat sonst einen akademischen juristischen Grad. Mit anderen Worten, wahrscheinlich hat er das Jura-Studium entweder freiwillig oder unfreiwillig nicht erfolgreich beendet.


    Dann war er noch Geschäftsführer einer Versicherungsmakler-GmbH und Vertriebsdirektor einer Lebensversicherungsgesellschaft.


    Hinzu kommt die nebulöse Aussage, er sei Vorstand einer Initiatoren-Aktiengesellschaft für Immobilienfonds gewesen. Den Namen der Firma verschweigt er wohl aus gutem Grund. Es war ein bestenfalls drittklassiger Anbieter von geschlossenen Immobilienfonds, die SHB AG:
    - https://finanzscout.wordpress.…-herren-hiller-und-schuh/



    Mit deren Fonds haben viele Anleger eine ganze Menge Geld verloren:
    - https://www.bontschev.de/fachg…innovative-fondskonzepte/
    - https://www.anwalt.de/rechtsti…digte-anleger_070090.html

  • Hallo erdnuss und muc,



    vielen Dank für Eure Einschätzung. Wir werden dann einen auf Erbrecht spezialisierten RA aufsuchen, damit alles seine Ordnung hat und der Familienfrieden möglichst beibehalten wird.


    Bei der Hypothek handelt es sich um den noch ausstehenden Darlehensbetrag, die Eintragung im Grundbuch ist wesentlich höher. Haupterbin S hat die Ausschlagungsfrist einfach nicht beachtet.


    Aber ich verstehe, dass der Nachlass und der Pflichtteilergänzungsanspruch zwei unterschiedliche Dinge sind und separat berechnet werden.


    Danke nochmal und ich melde mich wieder


    Sunrise96