Auch wenn deine etwas längeren Ausführungen scheinbar nicht immer auf Gegenliebe stoßen
Das bin ich gewohnt. Als ich Ende der 90er Jahre meinen Banken einen kleinen Fragekatalog zum Thema bevorstehende Euroeinführung vorlegte (was das für mein Geld, meine Altersvorsorge usw. bedeuten könnte), erntete ich Reaktionen von Schweigen über den Tenor es ändert sich doch gar nix bis hin zu verständnislosem Kopfschütteln. Im beruflichen und privaten Umfeld gab es teilweise - trotz meiner rein sachlichen Kritik - üble Zuschreibungen (wie EU-Feind, Nationalist, altmodisch, D-Mark Fetischist etc.
Ich lese diese Beiträge mit großem Interesse, da sie für mich als Anfang-30er Zusammenhänge aus der Vergangenheit beleuchten
Der "Blick in die Vergangenheit" war der Ausgangspunkt meiner damalige Euro-Recherchen. Hatte nämlich Belege aus meinen privaten und geschäftlichen Reisen zum Geldtausch (Sortengeschäft) aufgehoben. Beispiel: Bei meinem ersten Besuch in Griechenland (Schulzeit) entsprach eine DM ca. acht Drachmen - kurz vor Euroeinführung wurde der Kurs zur DM dann mit 170 Drachmen notiert. Greece hatte also in einer für eine Währung kurzen Zeit (vom Ende des Bretton-Woods-Systems in den 70er Jahren bis zum Jahr 1999) seine Drachme um gut 95% (!) gegenüber der DM abgewertet, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sich daraus ableitende logische und simple Frage: Was macht Greece unter der Einheitswährung Euro, wenn solche Abwertungen nicht mehr möglich sind ? Die exakt gleiche Frage könnte man beispielsweise für Italien und seine Lira stellen: Diese hatte gegenüber der DM im gleichen Zeitraum um > 80% (!) abgewertet ... usw. usw. Derart unterschiedliche teilweise sogar disparate Länder können sich m. E. unmöglich eine gemeinsame Währung teilen.
Du erwähntest beispielsweise (Ich hoffe ich kann es sinngemäß wiedergeben und habe es so verstanden, wie du es meintest... ) Die EZB mit Sitz in Mainhattan agiert konträr ihres eigentlichen Auftrags der Geld-Stabilitätspolitik und ist nur noch eine Gelddruckmaschine, um Staatsschulden wirtschaftlich "schwächerer" Euroländer abzufedern.
Was sie sagen - was sie tun ...
Beispiel: Wenn in Zeiten extrem hoher Inflation die EZB-Spitze eine Sondersitzung bzw. Notfallsitzung einberuft ist das nur logisch. Bei dieser Sondersitzung (nach meiner Erinnerung am 15. Juni 2022) ging es dann aber nicht um die Inflationsbekämpfung - sondern wie man einen Zinsanstieg für hochverschuldete Länder (Beispiel: Italien) mit einem neuen "unbegrenzten" Anleihekaufprogramm verhindern kann ... (TPI; sog. Transmission Protection Instrument)
Anleihekaufprogramme (noch dazu in unbegrenzter Höhe) einer Notenbank (QE sprich Quantitative Easing also geldpolitische Lockerung mit frischem Geld) sind das Gegenteil einer geldpolitischen Straffung zwecks Inflationsbekämpfung.
Nun würde es mich interessieren, was du unternehmen würdest, um die Schieflage der EU-Finanz- und Fiskalpolitik zu ändern?
Eine berechtigte Frage, weil ein konstruktiver und nach vorne gerichteter Ansatz.
Um dennoch mit einem kurzen Blick zurück zu beginnen: Man hätte sich bei einem derart gewagten Experiment (praktisch alle Währungsunionen der Finanzgeschichte sind ausnahmslos gescheitert) an die eigenen (!) EU-Verträge halten sollen (s. AEUV). Dies würde ich (um mal juristisch zu bleiben; Motto: "Pacta sunt servanda") als eine "Conditio sine qua non" (unverzichtbar) für das Gelingen eines solchen Experiments bezeichnen. Diese EU-Verträge wurden aber von Anbeginn nach Bedarf umgangen, gedehnt, gebeugt oder sogar gebrochen (Vertag von Maastricht, Maastricht-Kriterien, Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV, Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die EZB des Art.123 AEUV usw.). Nur am Rande: So viel zum Gedanken der Rechtsstaatlichkeit und Vertragstreue innerhalb der Eurozone.
Über diesen Punkt einer "Lösung" bzw. "Heilung" hatte ich lange nachgedacht. Nach meiner Einschätzung ist der "Point of no Return" schon länger überschritten. Die Rückkehr zu einer soliden und stabilitätsorientierten Geldpolitik scheint mir sowohl aufgrund der Konstruktionsmängel der Einheitswährung als auch der Folgen der Dauerrettungspolitik der EZB (immer weiter gestiegene Staatsverschuldung, Auseinanderfallen von Handlung und Haftung, permanentes Setzen von Fehlanreizen, erhebliche dadurch zumindest (mit)aufgepumpte Vermögenspreisblasen (Beispiel: Immobilien) usw.) kaum - präziser wohl nicht - mehr möglich.
Hatte die Gelegenheit darüber mit einigen langjährigen (und teilweise in der Szene sehr prominenten) Fondsmanagern zu diskutieren. Deren Meinung deckt sich (leider) mit der meinigen. Motto: "Ich frage mich nicht mehr, wie man den Euro noch retten kann - sondern wie ich mich und mein Geld (bzw. das meiner Kunden) vor dem Euro (und dessen Maßnahmen zur Dauerrettung) bestmöglich schützen kann". Damit ist eigentlich alles gesagt. Auch wenn die Herren das nur im Vier-Augen-Gespräch und nicht in der breiten Öffentlichkeit so offen kommunizieren. Was ich aus eigener Erfahrung (s. o. 1. Absatz) aber gut nachvollziehen kann.
Oder wie ein bekannter Anleiheexperte formulierte: "Die Schmerzen müssen noch viel größer werden sprich manche Dinge müssen sozusagen bis zum Ende durchfaulen bevor ein Neustart gelingen kann" ...
Oder eine weitere Aussage: "Finanzielle Repression (negative Realzinsen) in der Eurozone ad infinitum - bzw. bis es eben kracht" ...
Einen der Protagonisten erlaube ich mir zu outen bzw. beim Namen zu nennen, da dieser selbst in einem Dokumentarfilm aufgetreten ist (Rainer Voss ehemaliger Investmentbanker im Film "Der Banker - Master of the Universe" aus dem Jahr 2013). Im Kontext mit der Eurokrise sagt dieser (etwa ab 1:11:50) wörtlich: "Das fliegt uns irgendwann um die Ohren. Entweder fliegt es uns finanztechnisch um die Ohren oder es fliegt uns gesellschaftspolitisch um die Ohren. Aber das dies ein gutes Ende kriegt, daran glaube ich keine Sekunde" ...
Das Motto mich bestmöglich vor diesem Währungsexperiment zu schützen, hatte ich mir aufgrund meiner Recherchen schon vor Euroeinführung zu eigen gemacht. Eine positive Antwort mit konkreten Vorschlägen zur "Heilung des Euro" beim nunmehr "erreichten" Status Quo kann ich Dir also (leider) nicht bieten.
Meine Vermutung: Gäbe es diese "Lösung", hätte uns die (EU)Politik diese sicherlich längst präsentiert. Die Eurokrise begann ja im Jahr 2010 mit Griechenland - und dauert praktisch bis heute an (das TPI-Programm verdeutlich ja wie fragil die EZB selbst die Lage einschätzt - ebenso die ultra-expansive Geldpolitik der EZB seit nunmehr über einem Jahrzehnt). Diese ewigen Diskussionen seit Beginn der Eurokrise, um den Euro als Projekt, dessen (Dauer)Rettung, die EZB-Geldpolitik usw. dürften auch der Politik (samt den EU-Politikern) nicht behagen. Eine tragfähige und halbwegs dauerhafte Lösung hätten sie daher bestimmt der Öffentlichkeit vorgestellt - wenn sie denn eine hätten ...
So muß die EZB eben weiter als Feuerwehr herhalten ...
Die VSE ("Vereinigte Staaten von Europa") könnten natürlich die Lösung sein. Dafür sehe ich aber in dieser EU auf absehbare Zeit keinerlei Chance. Zudem wären dafür Referenden in diversen Ländern zwingend erforderlich. Mit solchen Referenden hat die EU keine guten Erfahrungen gemacht (angefangen von der Ablehnung einer Europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlangen über die Ablehnung der Schweden zur Euroeinführung bis hin zum Brexit-Referendum in UK).
Die (perspektivische) Einführung einer europäischen Digitalwährung (Stichwort: "Digitaler Euro") könnte ein weiterer Ansatz sein (insbesondere wenn dadurch das Bargeld noch weiter zurückgedrängt würde und/oder sogar ganz verschwindet - und damit die Macht der EZB und die Möglichkeiten der Geldpolitik sozusagen grenzenlos würden). Aus Sicht des Bürgers möchte ich mir allerdings eine solche "schöne neue Geldwelt" sozusagen a la Orwell lieber nicht vorstellen ...
Der (vertragswidrige) weitere Weg der Eurozone in eine Schulden-, Haftungs- und Transferunion scheint mir dennoch vorgezeichnet. Mit allen daraus resultierenden (negativen) Folgen. Die fragile Einheitswährung wird permanente Eingriffe, Interventionen, weitere Vertragsbrüche, (noch) mehr Zentralismus, eine dauerhaft politisierte (statt unabhängige) Notenbank usw. usw. erfordern, soll es mit dem Euro weitergehen. Aus meiner Sicht wird diese "Dauertherapie" mit einer als "Droge" eingesetzten Geldpolitik den "Patient" zwar weiter irgendwie am Leben halten - das System insgesamt (Wirtschaftswachstum in der Eurozone) sowie den Euro (als werthaltige Währung) perspektivisch aber eher weiter schwächen.
Der Einstieg in Drogen geht schnell und einfach - der Drogenentzug ist dann aber äußerst schwierig und gelingt nicht selten gar nicht.
Nach der bekannten Taylor-Regel (die vereinfacht gesagt aus der Differenz zwischen dem Inflationsziel und der tatsächlichen Inflation sowie der Produktionslücke ein angemessenes Zinsniveau ableitet) müßte der EZB-Leitzins derzeit nicht bei 2,0% sondern bei 8,00% liegen. Das ist aber bei dieser Einheitswährung mit einigen hochverschuldeten Euroländern nicht mehr machbar ... So viel aus meiner Sicht zur Möglichkeit der effektiven Inflationsbekämpfung der EZB.
Statt mich meiner dringenden Arbeit zu widmen habe ich Dir nun (vermutlich viel zu ausführlich) versucht zu antworten ...