Gewinn- oder Verlustwerte verkaufen? (Gewinnmitnahme vs. Verlustrealisierung)

  • Ich möchte einmal ein sehr grundsätzliches Thema ansprechen, zu dem ich von einer These überzeugt bin, die sicherlich viele erst einmal für falsch halten werden...


    Dazu folgendes Beispiel:
    Jemand hat jeweils 5.000 € in die G-Aktie und in die V-Aktie investiert.
    Dann benötigt er 2.000 € Cash und muss Aktien verkaufen. Beim Blick ins Depot wird klar:
    die G-Aktie steht bei 6.000 € (also Gewinn i.H.v. 1.000 €),
    die V-Aktie steht bei 4.000 € (also Verlust i.H.v. 1.000 €).


    Frage: Welche Aktie sollte verkauft werden?
    Verkauf der G-Aktie nebst Gewinnmitnahme oder Verkauf der V-Aktie nebst Verlustrealisierung?


    Hier würden die meisten wohl sofort sagen: auf jeden Fall den Gewinn "mitnehmen"!


    Nach meiner Überzeugung muss die Antwort jedoch ganz klar lauten (wenn man steuerliche Aspekte zunächst einmal außer Acht lässt):
    ES IST EGAL!


    Und zwar vor dem Hintergrund folgender Annahmen:

    • Als normaler, privater Anleger weiß ich nicht besser als der Markt, in welche Richtung sich ein Kurs zukünftig entwickeln wird.
    • Die Chance auf zukünftigen Gewinn oder Verlust liegt aus meiner subjektiven Privatanleger-Sicht somit bei exakt 50/50; beides ist gleich wahrscheinlich
    • ...und zwar unabhängig davon, ob der Kurs in der Vergangenheit gestiegen oder gefallen ist!
    • Die Differenz zwischen meinem früheren Kaufkurs und dem aktuellen Kurs (also: Gewinn/Verlust in der Vergangenheit) ist somit AUSSCHLIEßLICH von psychologischer Bedeutung!

    Berücksichtigt man zusätzlich noch steuerliche Aspekte, so ist der Verkauf von Verliereraktien sogar vorzugswürdig, wenn man bereits den Sparer-Pauschbetrag i.H.v. 801 € bzw. 1.602 € ausgeschöpft hat.



    ....wenn ich mich irre, wenn Ihr es anders seht - lasst es mich wissen!! 8)

  • Okay, die psychologische Bedeutung kann man nicht zu wichtig nehmen. :thumbup:


    Ansonsten hätte ich eher die Frage, warum unsere Anleger bei Cash-Bedarf ans Depot muss bzw. müssen soll.
    Meine Liquidität sollte ich ja außerhalb des Depots vorhalten, oder nicht? :saint:

  • Ich sehe es anders. Eine Einzel-Aktie (und auch einen Fonds) kaufe ich nur dann wenn ich eine konkrete Gewinn-Erwartung habe. Ein Buchverlust ist zunächst mal eine Anzeige, dass die Anlageidee nicht aufgegangen ist.


    In der Konsequenz würde ich daher eher die Verlustaktie verkaufen und zwar die komplette Position, nicht nur 2.000 Euro..

  • Okay, die psychologische Bedeutung kann man nicht zu wichtig nehmen. :thumbup:


    Ansonsten hätte ich eher die Frage, warum unsere Anleger bei Cash-Bedarf ans Depot muss bzw. müssen soll.
    Meine Liquidität sollte ich ja außerhalb des Depots vorhalten, oder nicht? :saint:

    Das ist wohl richtig, aber darum soll es in diesem Thread nicht gehen... ;)



    Ich sehe es anders. Eine Einzel-Aktie (und auch einen Fonds) kaufe ich nur dann wenn ich eine konkrete Gewinn-Erwartung habe. Ein Buchverlust ist zunächst mal eine Anzeige, dass die Anlageidee nicht aufgegangen ist.


    In der Konsequenz würde ich daher eher die Verlustaktie verkaufen und zwar die komplette Position, nicht nur 2.000 Euro..

    Aber der Umstand, dass die Investition in der Vergangenheit nicht aufgegangen ist, bedeutet doch nichts hinsichtlich der zukünftigen Kursentwicklung!?


    ...und nur diese zukünftige Entwicklung kann richtigerweise über Verkaufen/Halten entscheiden!?


    Im maßgeblichen Zeitpunkt "jetzt" hat die Aktie einfach nur ihren aktuellen Kurswert (im Beispiel 4 k €), nicht mehr und nicht weniger.
    Der frühere Einkaufswert ist egal (es sei denn, man unterstellt, dass frühere Entwicklungen ein Indiz seien für künftige Entwicklungen).

  • Aber der Umstand, dass die Investition in der Vergangenheit nicht aufgegangen ist, bedeutet doch nichts hinsichtlich der zukünftigen Kursentwicklung!?

    Ohne weitere Betrachtung bleibe ich bei meiner Aussage, da der Anlageplan G funktioniert und der Anlageplan V nicht.


    Wir können das so modifizieren, dass eine neue Betrachtung erfolgen kann z.B. dahingehend, ob Aktie G weiteres Kurspotenzial hat oder nicht, und Aktie V auf niedrigerem Potenzial relative Stärke gegenüber dem Gesamtmarkt zeigt.


    Der Leitsatz lautet "Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen". Die Kleinanleger-Vorgehensweise "am Gewinn mitnehmen ist noch niemand gestorben" führt zu Depotleichen, da nach dem 20%-Rückgang oft weitere Verluste folgen. Wenn sie dann 40% gefallen ist fällt es noch schwerer die Verluste = das persönliche Versagen bei der Aktienauswahl zu akzeptieren. Dagegen werden nur kleine Gewinne gemacht, da man am Ende nur die Verlustbringer im Depot hat.


  • Hallo,


    hier ein paar lose Anmerkungen meinerseits ...

    • Aus wissenschaftlicher theoretischer Sicht ist es tatsächlich egal, da "Herr oder Frau Markt" in der Gesamtheit alles vorhandene Wissen der Zukunft schon eingepreist hat.
    • Aus steuerlicher Sicht wird es wohl die V-Aktie sein.
    • Unter der Annahme, dass beide Aktien in etwa zum selben Zeitpunkt gekauft wurden und nun diese Bewertung haben ...

      • aus Momentum Sicht (G sieht nach Momentum Aktie aus) und diese Marktphase noch anhält die V-Aktie verkaufen
      • aus Value Sicht (V sieht eher nach Value oder Quality-Aktie aus) dann ist wohl eher die G-Aktie zu verkaufen
      • da die beiden Aktien relativ gut diversifiziert sind (scheinen ja einen negativen Korrelationskoeffizienten zu haben) jeweils G und V zur Hälfte
      • u.s.w.
    • wenn es sich nicht um Einzelaktien handeln würde sondern um ETFs, dann wäre wohl Rebalancing angebracht
    • u.v.m.



    -- IRONIE EIN --


    Ist ja ein hypothetisches Beispiel, denn wenn es echt wäre müsste man dem Anlegen wohl raten, beide Aktien sofort zu verkaufen, die EUR 2.000.- zu verwenden und die restlichen EUR 8.000.- (bisher ist eh kein Verlust aufgelaufen) in einen MSCI World o.ä. zu investieren, denn

    • Einzelaktien sollten nur dann gewählt / gekauft werden, wenn man sich mit dem Unternehmen lang-und-breit auseinandergesetzt hat
    • der Anlegen scheint nicht zu wissen, WARUM er die einzelnen Aktien in seinem Depot hält und welche Erwartungen er damit verknüpft
    • um wahllos Aktien auswählen zu können und doch mit dem Markt mitzuhalten bedarf mind. 20 - 30 Einzelaktien


    -- IRONIE AUS --


    Gibt also weder eine richtige noch eine falsche Antwort, die meisten Anleger helfen sich damit dass sie entweder dem Bauchgefühl oder der vorher festgelegten Strategie folgen ... jeweils ohne Garantie auf Erfolg.


    lG
    Ben42

  • ...


    • Als normaler, privater Anleger weiß ich nicht besser als der Markt, in welche Richtung sich ein Kurs zukünftig entwickeln wird.

    Wenn man das so sieht, dann hat man hoffentlich keine Einzelaktien.
    Wenn man hingegen doch glaubt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zukünftige, kursrelevante Ereignisse vorhersehen zu können, dann wird man die Aktie verkaufen, der man für die Zukunft die geringeren Chancen einräumt, und zwar unabhängig vom aktuellen Kurs.

  • Ich werfe mal eine andere "bahnbrechende" Theorie in den Raum:


    Wenn ich Einzeltitel kaufe, dann weil ich die Titel gut finde. Etwa weil ich die Produkte selbst kaufe (bspw. Nestle, Procter&Gamble, Unilever, Starbucks, McDonalds, Coca Cola usw) oder weil ich denke, dass die Firma bei ihren Produkten oder Dienstleistungen Weltmarktmässig gut dasteht (Mastercard, Intel, Stryker), ich hoffe ich brauche nie ein Stryker Produkt ;)


    Wenn ich nach dieser Denke also ein Unternehmen gut finde und von ihm überzeugt bin, dann kaufe ich zu einem Kurs x weil ich denke dass da in Zukunft noch mehr geht. Dann sollte ich bei einem Rücksetzer ja eher die günstige Nachkaufgelegenheit sehen und mich freuen, dass ich günstiger dran komme (bspw. derzeit BASF, Johnson & Johnson).


    Das ist meine persönliche Meinung, kann aber auch schief gehen wie uns die Deutsche Bank derzeit eindrucksvoll beweist...

  • Ich habe im Beispiel Aktien nur beispielhaft genannt - hätte ebensogut einen Gewinner- und einen Verlierer-ETF zum Vergleich stellen können, oder sonstige Anlageformen mit schwankenden Kursen.


    Ich wollte NICHT das Thema "Einzelwerte vs ETFs" diskutieren (dazu gibt es ja auch schon genug Ratgeber, etc.) sondern die These zur Diskussion stellen, inwiefern beim Verkauf eine Differenzierung nach "Gewinn-/Verlustwerten" Sinn macht.

  • Ohne weitere Betrachtung bleibe ich bei meiner Aussage, da der Anlageplan G funktioniert und der Anlageplan V nicht.
    Wir können das so modifizieren, dass eine neue Betrachtung erfolgen kann z.B. dahingehend, ob Aktie G weiteres Kurspotenzial hat oder nicht, und Aktie V auf niedrigerem Potenzial relative Stärke gegenüber dem Gesamtmarkt zeigt.


    Der Leitsatz lautet "Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen". Die Kleinanleger-Vorgehensweise "am Gewinn mitnehmen ist noch niemand gestorben" führt zu Depotleichen, da nach dem 20%-Rückgang oft weitere Verluste folgen. Wenn sie dann 40% gefallen ist fällt es noch schwerer die Verluste = das persönliche Versagen bei der Aktienauswahl zu akzeptieren. Dagegen werden nur kleine Gewinne gemacht, da man am Ende nur die Verlustbringer im Depot hat.


    Zu dem ersten und dritten Absatz (inkl. dem zitierten Leitsatz):


    Dabei unterstellen Sie, dass Verluste in der Vergangenheit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für Verluste in der Zukunft ergeben (und entsprechendes für Gewinne).
    Dann ist die Vorgehensweise folgerichtig.


    Ich bezweifle allerdings die Richtigkeit dieser Grundannahme: würden derartige Wahrscheinlichkeiten tatsächlich existieren, könnte man damit letztlich mühelos langfristig (!) Gewinn erzielen.
    Es würde zudem wohl auch implizieren, dass man gegenüber dem Markt einen Vorteil hätte.


    Zu dem zweiten Absatz:


    Das mit der neuen Betrachtung der Kurspotenziale klappt aber nur, wenn Sie in der Lage sind, ebendiese richtig einzuschätzen (was selbst den besten Börsenprofis meines Wissens nicht langfristig gelingt), und zwar BESSER ALS DER MARKT! Wenn Sie nur das selbe sehen, was der Markt sieht, sprich: was schon längst eingepreist ist, haben Sie keinen Vorteil mehr.


    ....daher meine oben genannte Grundannahme: ich als Privatanleger kann die Kursentwicklung nicht besser einschätzen als der Markt. Daher kann ich Kurse letztlich nicht prognostizieren.

    • Aus wissenschaftlicher theoretischer Sicht ist es tatsächlich egal, da "Herr oder Frau Markt" in der Gesamtheit alles vorhandene Wissen der Zukunft schon eingepreist hat.

    Genau das ist der entscheidende Punkt!


    Daraus folgt dann, dass es egal ist, ob ich Werte, die Gewinn, oder solche, die Verlust gemacht haben, verkaufe.


    Ich kann es dann also besten Gewissens von der steuerlichen Aspekten abhängig machen.

  • Ich bin über diese Diskussion entsetzt. Bis jetzt war es für mich nicht vorstellbar, dass Geldanlage rein als Glücksspiel betrieben wird.


    Gelegentlich habe ich hier schon angemerkt, dass ich ein blindes Vertrauen auf das langfristige Aufholen jeglicher Verluste in Indizes grenzwertig finde. Dies auf Einzelwerte auszudehnen halte ich für grob fahrlässig. Aktien können 100% ihres Wertes verlieren, aber mehr als 100% gewinnen.


    Wenn Aktien sehr stark gegenüber dem Gesamtmarkt und speziell ihrer Peergroup fallen dann hat das i.d.R. einen Grund. Diese dann nicht zu verkaufen ist geplante Vermögensvernichtung (s. aktuell Deutsche Bank, Steinhoff). Da spricht doch genau der Markt. So eine Aktie zu halten ist dann handeln gegen den Markt.


    Daher: selbst einen Plan machen, diesen anhand der Marktentwicklung überprüfen, wenn der Plan nicht aufgeht ein neues Investitionsziel suchen.

  • Ich werfe mal eine andere "bahnbrechende" Theorie in den Raum:


    Wenn ich Einzeltitel kaufe, dann weil ich die Titel gut finde....

    Das ist keine wie auch immer geartete Theorie, sondern das Nutzen der Börse als Daddelautomat.


    ...



    Ich wollte NICHT das Thema "Einzelwerte vs ETFs" diskutieren (dazu gibt es ja auch schon genug Ratgeber, etc.) sondern die These zur Diskussion stellen, inwiefern beim Verkauf eine Differenzierung nach "Gewinn-/Verlustwerten" Sinn macht.

    Es macht keinen Sinn, Verkaufsentscheidungen davon abhängig zu machen, was in der Vergangenheit passiert ist. Entscheidend ist die Erwartungshaltung für die Zukunft.


    Ich bin über diese Diskussion entsetzt. Bis jetzt war es für mich nicht vorstellbar, dass Geldanlage rein als Glücksspiel betrieben wird.

    Das ist aber in Bezug auf Einzelaktien und den privaten Kleinanleger die vorherrschende wissenschaftliche Meinung.

  • Ich bezweifle allerdings die Richtigkeit dieser Grundannahme: würden derartige Wahrscheinlichkeiten tatsächlich existieren, könnte man damit letztlich mühelos langfristig (!) Gewinn erzielen.
    Es würde zudem wohl auch implizieren, dass man gegenüber dem Markt einen Vorteil hätte.
    ...

    So ist es.
    Gewinne zu erzielen, mag ja so auch möglich sein. Das kann ich mit meinem Tagesgeldkonto aber auch.
    Es kann nur um Überrenditen im Vergleich zu einer Benchmark gehen.


    Und den beschriebenen Momentum Effekt mag es geben, aber nicht zu jeder Zeit und nicht zeitlich unbegrenzt.

  • 1. "Glücksspiel":
    ....wie Sie andeuten, gehen Sie davon aus, dass ich die Geldanlage als Glücksspiel verstehe?! Das ist keineswegs der Fall, ich teile lediglich die Auffassung, dass es per se kein "richtig/falsch" gibt bei der Frage, ob man beim Verkauf Werte mit Gewinn oder mit Verlust verkauft.



    2. "blindes Vertrauen auf das langfristige Aufholen jeglicher Verluste in Indizes grenzwertig":


    Sehe ich genauso.



    3. Grund für Kursverluste/Beispiel Deutsche Bank:


    Sicher gibt es regelmäßig Gründe für signifikantes Fallen eines Kurses.
    Bleiben wir beim Beispiel Deutsche Bank: gehen wir davon aus, dass da Fehler im Management gemacht wurden.


    DAS weiß dann aber auch der Markt! Meine persönliche "Erkenntnis" der Managementfehler bringt mir im Zweifel gar nichts, denn ebendiese hat der Markt längst in den Kurs eingepreist!


    Und ja, vielleicht hat der Markt die ganze Misere noch nicht erkannt, so dass der Kurs weiter fallen wird -


    das genaue Gegenteil ist aber auch möglich: die Managementfehler wurden überbewertet, bzw. sind zumindest schon vollständig eingepreist, so dass der Kurs morgen wieder steigen wird...!?


    Woher wissen Sie, was wahrscheinlicher ist? Wenn Sie das prognostizieren können, werden Sie reich...


    Aber ich bezweifle eben, dass ein normaler Privatanleger dauerhaft von solchen vermeintlichen Regelmäßigkeiten der Kursverläufe leben kann.

  • Würdet Ihr diese Diskussion auch so führen, wenn es Fonds wären (also Fondsentwicklung negativ und andere Fond mit einer positiven Entwicklung)?

    Ich auf jeden Fall - meine These gilt für alles, was mit schwankenden Kursen gehandelt wird, also bspw. auch Edelmetalle.


    Bei ETFs könnte man allerdings zusätzlich noch argumentieren, dass es für Privatanleger "richtigere/sicherere" ETFs und "suboptimalere/riskantere" ETFs gibt; in der Hinsicht müsste man wohl durchaus differenzieren
    - aber eben nicht mit der Begründung "ETF A habe ich für 5.000 € gekauft und seitdem hat er sich bis jetzt soundso entwickelt"
    - sondern mit der Begründung "egal was bisher geschah, ich erwarte von dem MSCI World ETF zukünftig (!) eine solide Entwicklung, deshalb vetkaufe ich den anderen"!