Ich habe anlässlich der charmanten Bitte in #24 mal zurückgeblättert und mich gefragt, warum bei diesem eigentlich interessanten Thema kaum jemand mitdiskutiert. [...]
Sorry, wenn meine Fragen in #24 etwas uncharmant rübergekommen sind, aber ich finde diese Detailfragen gerade für eine funktionierende Diskussion wichtig. Wenn wir uns weiterhin an Kommer orientieren: Er hat allein in seinem Blog 18 Kritikpunkte ausgemacht, im letzten Artikel vom 06.01.24 wurde das ganze dann in einem Punkt nochmal etwas vertieft:
-> https://gerd-kommer.de/daemonisierung-von-etfs/
-> https://gerd-kommer.de/marktanteil-passives-investieren/
McProfit , eine wichtige These der ETF-Kritiker ist, dass bei einen zu großen Anteil passivem Investierens der Markt nicht mehr funktioniert, weil irgendwann nur noch der Markt sich komplett selbst hinterherläuft und entweder zum Erstarren kommt oder ganz kleine aktive Bewegungen große Wellen schlagen, weil sie durch die ETF gnadenlos repliziert werden.
Das wird in dem wirklich lesenswerten Artikel aber entkräftet
Was du hier schreibst fasst zentrale Kritikpunkte gut zusammen, beinhaltet aber mehrere Aspekte der 18 Kritikpunkte von Kommer und tangiert die Realwirtschaft (Allokation von Mitteln auf Unternehmen, Selektionsfunktion) genauso wie finanzwirtschaftliche Aspekte (Marktverzerrung, Finanzkrisenverstärktung, etc.). Daher eben meine (mittelmäßig charmanten?) Fragen auf welche Aspekte von Kommer genau du dich beziehst und inwieweit du der Meinung bist, dass diese entkräftet wären!
Ich finde wie gesagt, dass bestimmte Punkte umschifft werden und sich manches in der Argumentation von Kommer wiederspricht. Nimm doch zum Beispiel mal die folgenden Punkte aus seiner Auflistung (1. Link oben), die sich genau um die Fragen dieses Threads drehen:
"► Argument 2: Wenn alle passiv investieren, wird es nicht mehr funktionieren. Deshalb ist passiv investieren fragwürdig. Die Fakten: Ja, die Vorteile von passiv Investieren setzen in der Tat voraus, dass nicht alle Marktteilnehmer passiv anlegen. [...]"
Interessant! Er sieht es also auch so, dass passive Investoren Trittbrettfahrer der aktiven Investoren sind, ohne die die Märkte nicht mehr funktionieren. Demnach gibt es logisch einen Punkt (d.h. eine anteilige Quote an passiven Investoren) ab dem das System deutlich schlechter oder nicht mehr funktioniert! Dieses Risiko wird jedoch unter Verweis auf die ominöse und hier zur Debatte stehende ETF-Quote völlig vom Tisch gewischt. Motto: Der Anteil ist sehr klein, da wird schon nichts passieren. Völlig offen bleibt, ab welcher Quote bzw. welchem ETF-Anteil im Markt, dann tatsächlich Folgewirkungen auftreten. Wenn wir ehrlich sind: Wir kennen diesen Punkt nicht, er kann bei 60% oder über 90% des Marktanteils liegen und auch für die Folgen insbesondere in Finanzkrisen fehlt uns m.E. völlig das Wissen, das Verständnis und die Erfahrung!
"► Argument 5: Indexing beeinträchtigt das angemessene Funktionieren der Kapitalallokationsfunktion der Finanzmärkte. Wenn es zu viel Indexing gibt, kommt diese volkswirtschaftlich essenzielle Funktion zum Erliegen. Die Fakten: Das Traden (Handeln) von Aktien und Anleihen zwischen Börsenteilnehmern ist für die Emittenten von Aktien und Anleihen (Unternehmen und Staaten) Cash-Flow- und Gewinn-neutral – beeinflusst also beides nicht. Die Bedeutung der Kapitalallokationsfunktion der Finanzmärkte wird deswegen weit überschätzt. [...]"
Naja, also auch wenn der Sekundärhandel der Aktien Cash-Flow neutral sein mag, sind die Kapitalmärkte immer noch der Ort, an dem sich Unternehmen in Punkto Equity finanzieren. Ob sie das beim Börsengang/IPO machen, später durch Kapitalerhöhungen, ob sie Gelder ausschütten oder Aktien zurückkaufen: Immer spielt der Kurs am Kapitalmarkt eine Rolle für die Unternehmensfinanzierung und deshalb hat der Kapitalmarkt (bzw. die Investoren) nun mal die Aufgabe, die eigenen Mittel möglichst zielführend zu investieren und damit eine Auswahlentscheidung darüber zu treffen, welche Unternehmen Mittel bekommen und welche nicht (Selektion). Man könnte argumentieren, dass das der Kern des Kapitalismus ist, da eben das Kapital (also die Gelder der Investoren) darüber entscheiden, welche Unternehmen eine Zukunft haben werden und welche nicht! Würde man diese Aufgabe an den Staat übertragen, wäre man in der Planwirtschaft. Klar ist auch, dass bei einem passiven Investment in "den Weltmarkt" genau diese Funktion ziemlich flachfällt. Kommer schreibt den lapidaren Satz, dass die Bedeutung der Kapitalallokationsfunktion "weit überschätzt" wird. Die dann folgenden Argumente sind in meinen Augen ziemlich mau, es gibt genau zu diesem Punkt (Auswirkungen von ETF auf die (Kapitalallokationsfunktion) kaum Studien / Forschungsergebnisse, also auch hier: Wenn wir ehrlich sind, wissen wir einfach nicht, wie stark die Kapitalallokationsfunktion wirklich beeinträchtigt wird und was daraus folgt!
Die Liste ließe sich fortsetzen, aber vll. sollten wir für die Diskussion dabei bleiben aber gezielt auf einzelene Aspekte der Thematik eingehen um diese gezielt diskutieren zu können?
Ansonsten: Schönen ersten Mai allerseits!