Beiträge von alpenveilchen

    Es hängt davon ab, was es für ein Darlehensvertrag ist. Überwiegend sind vom Widerruf Immobiliardarlehensverträge (=grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen) betroffen. Sollte es sich um einen solchen handeln, muss der Vertrag regelmäßig nach dem 01.11.2002 geschlossen worden sein, also ab dem 02.11.2002 einschließlich.


    Grund ist Folgender: Vor August 2002 war die Anwendung von § 495 BGB (auf dem das (unbefristete) Widerrufsrecht für Verbraucherdarlehensverträge letztendlich basierte) auf Immobiliardarlehensverträge ausgeschlossen (siehe § 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB in der damals maßgeblichen Fassung: http://lexetius.com/BGB/491,5 ). Zwar wurde diese Bestimmung zum 01. August 2002 aus dem BGB gestrichen; allerdings gibt es in Art. 229 § 9 Abs. 1 BGBEG (https://www.gesetze-im-internet.de/bgbeg/art_229__9.html) eine Überleitungsvorschrift, nach der die Fassung vom 01. August 2002 für dort näher bestimmte Fälle erst ab November 2002 anwendbar ist.


    Meine Ausführungen betreffen allerdings Standardfälle (Immobiliardarlehensvertrag, kein Haustürgeschäft, keine weiteren Besonderheiten). Sollten Besonderheiten hinzukommen - etwa eine Festzinsbindung ohne grundpfandrechtliche Sicherung oder ein Haustürgeschäft - kann ein Widerruf in Betracht kommen. Nach meinen Erfahrungen sind das aber eher Ausnahmefälle. Im Zweifel gilt: Den Vertrag einem Anwalt zur Prüfung vorlegen.

    Zu 1.: Kreditinstitute wussten Mitte 2010, dass gewisse Probleme mit den Widerrufsbelehrungen bestehen. Das Thema ist in den Jahren zuvor intensiv diskutiert worden, 2009 kamen Urteile des BGH. Dieser hat unter anderem die aus der Musterwiderrufsbelehrung stammende Formulierung "Die Frist beginnt frühestens..." gekippt. Detailfragen waren aber lange Zeit nicht geklärt. Beispielsweise, inwieweit Abweichungen schädlich sind. Bei den relativ bekannten Sparkassenwiderrufsbelehrungen ist bis heute nicht geklärt, ob sie wirksam sind oder nicht. Die Rechtsprechung tendiert zur Unwirksamkeit, einzelne OLG sehen das anders. Auch war nicht geklärt, ob aufgrund anderweitiger rechtlicher Überlegungen ein Widerrufsrecht zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nicht mehr bestand.
    Dass eine Nachbelehrung vor diesem Hintergrund nicht erteilt wurde, ist nachvollziehbar. Das Zinsniveau war zum damaligen Zeitpunkt bereits massiv abgesunken, ein ggf. unnötigerweise neu begründetes Widerrufsrecht wäre vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll.


    Hinzu kommt das von mir bereits erwähnte Problem: Sie sollten wissen, dass an Nachbelehrungen vom BGH hohe Anforderungen gestellt werden (u.a. ein unmissverständlicher Bezug auf die ursprüngliche Vertragserklärung in der Belehrung selbst). Hinzu kommt, das möglicherweise auch umfassender über die Folgen des Widerrufs aufgeklärt werden müsste (Stichwort: Rückabwicklung) und selbst bei der von Ihnen angenommenen Rechtslage unklar ist, welche Version der Musterwiderrufsbelehrung verwendet werden müsste.


    Kein Jurist kann seriös beantworten, wie eine Nachbelehrung so rechtssicher ausgestaltet werden kann, dass sie garantiert vor dem BGH Bestand hat.


    Zu 2.: Ich habe nie behauptet, dass alle Fälle identisch sind. Kreditinstitute haben aber im Regelfall nur wenige unterschiedliche Widerrufsbelehrungen verwendet. Das bedeutet: Jede Version muss nur einmal geprüft werden. In der Folgezeit wird geschaut, ob Besonderheiten bestehen. Ich habe wirklich viele Schreiben von Verbraucheranwälten gesehen: Wie bei Bankjuristen auch arbeiten diese im Wesentlichen mit Textbausteinen, die ggf. an die Besonderheiten des Falls angepasst werden müssen. Ich hatte in Schreiben der Gegenseite an unsere Mandanten auch häufiger Textbausteine, die offensichtlich nicht zum aktuellen Fall passten und die sich auf ganz andere Widerrufsbelehrungen bezogen.


    Oder wollen Sie mir als Anwalt, der sich anscheinend tiefergehend mit Widerrufen befasst, ernsthaft erzählen, Sie hätten für Ihre Schreiben keine Textbausteine? Dann gratuliere ich Ihnen: Sie wären vermutlich der erste Anwalt, der das so handhabt.


    Zu 3.: Ich sage nicht, dass Verbraucher ein schlechtes Gewissen haben sollten. Ich finde das Vorgehen zwar unmoralisch, aber es geht letztendlich in jedem Einzelfall um viel Geld. Wer es machen will: Bitte. In vielen Fällen sind die Chancen, in einem Prozess zu obsiegen, auf Basis der Rechtsprechung in der Vergangenheit nicht ganz schlecht. Man sollte sich hinterher nur nicht beschweren, wenn auch die Gegenseite ihrerseits sämtliche Register zieht und sich vehement verteidigt, sprich: Den Prozess zumindest bis in die zweite Instanz durchzieht, auch wenn es für den Verbraucher mit extrem viel Zeit und Ärger verbunden ist. Das ist schließlich - ebenso wie der Widerruf der Verbraucher - das gute Recht der Banken.

    zu Alpenveilchen vom 27.04.2016


    Entgegen der Auffassung von 'alpenveilchen', Banken hätten in der Vergangenheit - wieder einmal - alles richtig gemacht und die Verbraucher - natürlich - auch ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt, kann man auch folgende Auffassung vertreten:


    Banken haben in der Vergangenheit - wieder einmal - die vom Gesetzgeber vorgegebenen Musterbelehrungen arrogant ignoriert und nach eigenem Gutdünken Widerrufsbelehrungen verwandt, die sie zuvor inhaltlich nach ihren ganz eigenen Vorstellungen - zu ihren Gunsten? - verändert hatten. Wenn ihnen dies heute vorgehalten wird und auch die Tatsache, dass sie die Möglichkeit hatten, sog. Nachbelehrungen vorzunehmen, die sie ebenfalls nicht genutzt haben, dann berufen sie sich gerne darauf, das Recht zum Widerruf sei verwirkt, bzw. es sei treuwidrig, wenn auch heute noch Altverträge widerrufen werden können. Das hat u. a. das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 04.11.2015, 31 U 64/15, sehr schön formuliert, wenn es dort u. a. wie folgt heißt: "Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte (damit ist die Bank gemeint; Anm. d. Unterz.) schon deshalb nicht für sich in Anspruch nehmen, weil sie (gemeint ist wieder die Bank; Anm. d. Unterz.) die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erteilt hat [...]".

    Ihrem Namenszusatz nach sind Sie Rechtsanwalt. In dem Fall sollten Sie eigentlich in der Lage sein, meine Aussage zu verstehen: Ich habe nie behauptet, dass Banken alles richtig gemacht hätten. Ich habe auch nie behauptet, Banken hätten "ordnungsgemäß" über das Widerrufsrecht belehrt, das ist eine juristische Wertungsfrage. Was ich geschrieben habe ist: Die Banken haben im Regelfall über das Widerrufsrecht informiert, dass eine Belehrung ausgeblieben ist, ist durchaus vorgekommen, aber nach meinen Erfahrungen die absolute Ausnahme.


    Vielleicht sollten Sie außerdem die historische Entwicklung korrekt widergeben: Ja, es gab Musterwiderrufsbelehrungen. Aber Banken haben mitnichten die Musterbelehrungen "des Gesetzgebers" arrogant ignoriert, diese Aussage ist schlicht falsch. Die Musterwiderrufsbelehrungen wurden als Verordnung erlassen, die bekanntermaßen unterhalb des Gesetzes rangiert, Jurastudium, 1. Semester. Es war in der Anfangszeit hochumstritten, ob eine Verordnung verbindliche Vorgaben machen und festlegen kann, wann gesetzliche Anforderungen an ordnungsgemäße Widerrufsbelehrungen erfüllt sind. Zudem stammen viele monierte Formulierungen gerade aus den von Ihnen erwähnten Musterwiderrufsbelehrungen - es ist doch sehr erstaunlich, dass das Bundesministerium der Justiz selber nicht in der Lage war, rechtssichere Widerrufsbelehrungen zu formulieren. Das deutet doch stark darauf hin, dass die Banken möglicherweise nicht allein an dem Schlamassel schuld sind.
    Und dass Sie das OLG Hamm zitieren, ist sehr schön. Aber es ist eben nur eine Rechtsauffassung unter mehreren.
    Zu dem Argument der Nachbelehrungen: Vielleicht haben Sie auch einen Tipp, wann die Banken welche sichere Nachbelehrung hätten vornehmen sollen? Ein Muster dafür gibt es nämlich nicht und die Rechtsfragen zum Widerruf sind heute noch nicht abschließend geklärt.


    [Nachtrag, 21:47 Uhr: Letzter Absatz überarbeitet]

    Die Zitate stammen aus einer Verbraucherkolumne von Tenhagen. Es ist wenig verwunderlich, dass dieser auf Seiten der Verbraucher steht. Was seine Verwunderung über die Handlungen des Gesetzgebers angeht: Man merkt deutlich, dass Tenhagen nur sehr begrenzt Ahnung von der Rechtslage und der Entwicklung des Widerrufsrechts hat. Es ist schon fast ein wenig traurig, dass er es bisher in keinem seiner Artikel geschafft hat, die Bedeutung der Musterwiderrufsbelehrungen und die Streitpunkte darum einigermaßen vernünftig und verständlich darzustellen und stattdessen so tut, als wäre es für Banken von Anfang an überhaupt kein Problem gewesen, vernünftig zu belehren.


    [Nachtrag]


    Und bei dem Vorschlag, den Kunden doch einfach rechtssicher nachzubelehren, packe ich mir auch an den Kopf. Vielleicht sollte er bedenken, dass Banken und Sparkassen - hätten sie früher belehrt - ggf. ein neues Widerrufsrecht trotz unklarer Rechtslage geschaffen hätten. Mal ganz abgesehen davon, dass für eine Nachbelehrung überhaupt kein vernünftiges Formular besteht, was enorme rechtliche Risiken für eine deutlich verlängerte Widerrufsmöglichkeit geboten und das Problem deutlich verschärft hätte.

    Kann es sein, dass hier überwiegend von Erfolgen der Kläger (Darlehnsnehmer) berichtet werden ? Ich wurde heute auf zahlreiche Urteile verwiesen, in denen die Klage abgewiesen wurde.


    Sobald ein RA den Widerruf einlegt, ist zumindest die 1. Gebühr für eine außerordentliche Einigung fällig oder ?
    Sollte man nicht in jedem Fall versuchen, persönlich eine Einigung zu erzielen. Gerade bei längjährigen Geschäftsbeziehungen die eigentlich nicht beendet werden soll ?


    Selbstverständlich wird hier überwiegend von Erfolgen berichtet, Finanztip ist schließlich ein Verbrauchermagazin.


    Ich war bis vor kurzem bei einem Rechtsanwalt tätig und habe Widerrufsfälle für die Bankenseite bearbeitet, sprich: Mich mit der Abwehr von Ansprüchen gegen unterschiedliche Banken und Sparkassen beschäftigt. Soviel aus der Praxis: Bei einem Großteil der Fälle kam es gar nicht erst zu Klagen, weil unsere Mandanten die Ansprüche bereits vor Klageerhebung abgewehrt haben. Und die Fälle, in denen es zu Klagen kam, wurden größtenteils verglichen. Die Vergleiche laufen im Regelfall auf einen teilweisen Verzicht der Vorfälligkeitsentschädigung raus. Nur in einem Bruchteil der Fälle kam es zu Urteilen. Und diese Urteile sind höchst unterschiedlich. Ob der Kläger obsiegt, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Widerrufsbelehrung verwendet wurde und welches Gericht zuständig ist/wie verbraucherfreundlich das nächstinstanzliche OLG entscheidet.


    Natürlich äußert sich aus dem Bankenbereich kaum jemand öffentlich, aber es ist doch so: Die Verbraucher wurden bei Vertragsabschluss so gut wie immer über ihr Widerrufsrecht informiert und wussten damals, dass ihnen ein Widerrufsrecht zusteht. Der Grund für den Widerruf heute ist nicht, dass sie damals schlecht beraten oder „über den Tisch gezogen“ wurden, sondern schlicht, dass durch den Widerruf die für den Verbraucher negative Zinsentwicklung von den Banken getragen werden soll. Eine derartige Risikoumverteilung ist zwar eigentlich nicht Intention des Widerrufsrechts, wird aber von Verbrauchern gerne mitgenommen, die sich in Bezug auf einige Rechtsfragen auf eine (teilweise äußerst) verbraucherfreundliche Rechtsprechung stützen. Andere Fragen sind dagegen bisher ungeklärt. So ist zum Beispiel fraglich, wie genau die Rückrechnung vorgenommen werden soll und wer zu welchen (Zins-) Zahlungen verpflichtet ist (ein in der Praxis hochumstrittenes Thema; die unteren Instanzen sehen zumindest teilweise den Verbraucher hinsichtlich des Nutzungsersatzes voll in der Beweispflicht mit der Folge, dass dieser ggf. zwar den Vertrag widerrufen kann, ihm finanziell im Ergebnis aber lediglich die Ersparnis der Vorfälligkeitsentschädigung bleibt, weil er nicht nachweisen kann, welche Nutzungen die Banken aus seinen Zahlungen gezogen haben. Je nach Klageantrag ist die Klage dann im Ergebnis möglicherweise ein Nullsummenspiel, weil die Anwaltskosten berücksichtigt werden müssen und die Klage ggf. teilweise abgewiesen wird). Fraglich ist auch, unter welchen Umständen und wie lange bereits abgewickelte Darlehensverträge widerrufen werden können. Auch hierzu gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen mit Tendenz dazu, ein Widerrufsrecht eher anzuerkennen, desto näher der Widerruf an der Beendigung des Vertragsverhältnisses liegt. Liegt die Beendigung bereits mehrere Jahre zurück, wird es problematisch. Schließlich ist auch weitestgehend unklar, wie weit eine Widerrufsbelehrung von der jeweils geltenden Musterwiderrufsbelehrung abweichen darf. Dass eine Abweichung in jedem Fall unzulässig ist, wird von Verbraucheranwälten zwar gerne behauptet, ist in dieser Pauschalität aber nicht richtig bzw. spiegelt die Rechtsprechung nicht adäquat wider. Diese sieht Abweichungen zwar überwiegend kritisch, trotzdem hält nicht jedes OLG jede Abweichung für unzulässig.


    Hinzu kommt, dass Verbraucherschutzanwälte und Verbraucherzentralen (natürlich) sehr viel verbraucherfreundlicher als Bankjuristen sind, damit aber nicht unbedingt die Linie der Rechtsprechung treffen. In Anwaltsschreiben endet das regelmäßig damit, dass „eindeutigfehlerhafte Punkte“, die „klar zur Widerrufbarkeit des Vertrags führen“, in den mündlichen Verhandlungen vom Gericht beiseite gewischt werden und nur auf die wirklich problematischen Punkte Bezug genommen wird. Vieles, was Anwälte schreiben, sieht für den Mandanten schön aus und bläht das Schreiben auf, ist aber letztendlich rechtlich völlig irrelevant (wobei ich zugeben muss, dass natürlich auch Bankjuristen Nebelkerzen werfen. Mit dem Unterschied: Auf Bankseite wissen normalerweise alle maßgeblichen Personen, womit sie möglicherweise durchkommen könnten und was Unsinn bzw. rechtlich sehr gewagt ist, während der Verbraucher regelmäßig überhaupt keine Ahnung hat).


    Insofern: Eine Klage kann erfolgversprechend sein. Die Rechtsprechung ist derzeit relativ verbraucherfreundlich, auch wenn sie nicht jeden Unsinn von Verbraucherschützern mitmacht. Im Ergebnis hängt es aber vom Gericht, der verwendeten Widerrufsbelehrung und weiteren Umständen ab, ob eine Klage sinnvoll ist. Ein kompetenter Rechtsanwalt sollte seine Mandanten entsprechend aufklären und auch darlegen, dass eine Klage natürlich immer auch ein gewisses Risiko in sich birgt.


    Und zum Ende eine kleine Anekdote: Ein befreundeter Verbraucheranwalt hat seine Beziehung zu Mandanten mal folgendermaßen beschrieben: „Meine Mandanten sind zu 80% Vollidioten, die die Materie nichtverstehen, die aber wissen, dass Banken böse sind und Unrecht haben. Die mussich dann erstmal runterbringen. Die anderen 20% haben zwar Hemmungen, weil sie nicht ganz nachvollziehen können, warum sie widerrufen können sollten, nehmen den Widerruf aber ganz pragmatisch mit, weil es um viel Geld geht. Und für uns ist es ein sehr lukratives Geschäft, weil es um Standardfälle mit hohem Streitwert geht und wir dem Mandanten ohne Probleme jedes Ergebnis verkaufen können.“. Dass es sich (im Verhältnis zum Aufwand) um relativ lukrative Mandate handelt, kann ich für Bankenanwälte bestätigen. Zumindest dann, wenn die Verfahren auf Masse betrieben werden und man mehrere Mandate für gleichlautende Widerrufsbelehrungen erhält.